USA - Idaho und Utah

von Naturwundern geknutscht und mit Begegnungen beschenkt.

Begleitet von gelb verfärbten Espen und scharlachrotem Ahorn radeln wir die im südlichen Teil der Rocky Mountains, von Nord nach Süd verlaufende Wasatch- Kette entlang. Noch sind die Tage angenehm warm und auch die Nächte mild. Doch hier in den Bergen kann das Wetter im Herbst schnell kippen und deshalb werden auch nach und nach die Kühe ins Tal getrieben. Auf Pferden lenken Cowgirls und -boys die junge, aufgeregt muhende Kuhherde geschickt zusammen. Stilecht mit Hut und Cowboystiefeln. Ich bin auf Anhieb verliebt in die Pferde, deren Erscheinung so herrlich elegant, wild und kräftig daher kommt und gebe zu, dass ich mein Fahrrad, könnte ich reiten, gerne manchmal gegen ein Pferd der Rasse Quater Horse oder Appaloosa eintauschen würde. Naja, vielleicht habe ich ja eines Tages die Gelegenheit ;).

Auch die Jagdsaison scheint hier in vollem Gange. An den Tankstellen und in den kleinen Countystores sehen wir viele Frauen und Männer in Tarnfarben gekleidet, die noch ihre letzten Besorgungen tätigen, bevor sie voller Erwartung, ausgerüstet mit Gewehr, Messer und Armbrust, in die Wälder ziehen.
Auf einem Bergpass zwischen den Orten ‚Paradise‘ und ‚Eden‘ wundern wir uns dann aber doch gewaltig, als wir nicht etwa einzelne Schüsse hier und da hören, sondern eher knatterndes Maschinengewehr. Zum Glück sind wir nicht alleine auf dieser Schotterpiste unterwegs. Es ist Sonntag und immer wieder fahren Familien in fetten Allradfahrzeugen an uns vorbei. Ein bisschen mulmig ist mir aber dennoch, denn dieses Geräusch verbinde ich keineswegs mit einem idyllischen Bergpass. Je näher wir der Schießerei kommen, desto offensichtlicher wird, was hier oben von Statten geht. Jung und Alt, Familien oder Freunde treffen sich hier fröhlich um auf Kürbisse und Melonen zu schießen. Schneller als ich gucken kann kommt Chris ins Gespräch mit einer Gruppe Ballermännern. Vor Ihnen, ausgebreitet auf einem Campingtisch liegt ein Geschoss neben dem nächsten. Eine ganze Sammlung quasi, darunter wirklich schweres Geschütz. Die Jungs erklären bereitwillig und stolz, welche Patronen zu den jeweiligen Waffen gehören, wie viel jede Einzelne kostet und welche Summe sie am Ende des Tages üblicherweise verschossen haben. 200 Dollar, meint einer der Drei. Chris, von der Summe überwältigt, erwidert, dass er in manchen Ländern davon einen Monat reisen könne. Der Mann daraufhin wirkt fast ein wenig verlegen und möchte mir später, bei der Verabschiedung, tatsächlich 100 Dollar in die Hand drücken, die ich dankend ablehne. Ja, das war verrückt da oben auf dem Pass. Verrückt, schockierend und eindrücklich. Für die drei jungen Männer sind die Waffen nicht einfach nur ein Hobby, sondern auch ihre Versicherung. Es sei schließlich eine gefährliche Welt und man müssen in der Lage sein sich selbst zu verteidigen.

Ich kann ein klitzekleines Bisschen verstehen, was die Männer bewegt so zu fühlen. Sie waren, so erzählen sie es uns, noch nie außerhalb von Idaho und den umliegenden Bundesstaaten und zudem in einer Realität groß geworden, in der der Waffenbesitz ganz selbstverständlich ist. Als Chris dann erzählt, welche Länder er unbewaffnet mit dem Fahrrad durchquert hat, wie viel Gutes ihm dabei widerfahren ist und er dabei eigentlich nie in Gefahr war, sind die Jungs beeindruckt und haben viele Fragen. Und so war es wahrscheinlich für uns, genauso wie für die Drei, eine intensive Begegnung. Zwei Welten die aufeinander treffen und versuchen einander zu verstehen. So muss es sein, denke ich mir und freue mich mal wieder über meinen Chris, von dem ich immer wieder lernen darf, wie wichtig es ist, offen und unvoreingenommen auf Menschen zuzugehen.

Einer, und vielleicht auch der schönste Teil des Tages, ist für uns der Abend. Wenn die Kilometer gemacht sind, das Zelt steht und noch ein wenig Zeit bleibt zum malen, fotografieren, schreiben, relaxen und kochen. Wenn das Licht immer goldener wird, die Sonne nicht mehr so brennt und wir meist einen Platz mit wundervoller Aussicht haben. Hier in der USA haben sich leckere neue Dinge in unsere Campingküche geschlichen. Darunter zum Beispiel Wraps mit allem was zur Füllung gerade zur Verfügung steht und Gemüsereis mit selbstgemachter Erdnuss Soße aus Peanutbutter, Ingwer, Knobi, Sojasauce und Gewürzen. Aber auch die altbewährte Campingpizza darf auf dem Speiseplan nicht fehlen und schmeckt besonders gut am Lagerfeuer mitten im wilden Canyonparadies Utahs.

Eines dieser Paradiese, fern von den  den viel besuchten Nationalparks, nennt sich San Rafael Swell. Schwer beladen, mit Essen für einige Tage, machen wir uns auf den Weg in dieses Gebiet, welches vor 40-60 Millionen Jahren durch Erplattenbewegungen hochgeschoben und erschaffen wurde. Seit dem formen Sturzfluten und andere Extremwetter beeindruckende Schluchten, spektakuläre Felsformationen und Plateaus in das Sedimentgestein . Eine faszinierende Landschaft, an der sich so viele erdgeschichtliche Dinge ablesen lassen, dass man sich als einzelner Mensch oder sogar als ganze Menschheit gänzlich unbedeutend vorkommt. Irgendwie ein friedliches Gefühl, wenn man sonst dazu neigt, sich von den Folgen des Klimawandels emotional vereinnahmen zu lassen. Irgendwann, in vielen Millionen Jahren, wird dann vielleicht eine andere Spezies im Sedimentgestein das menschliche Zeitalter feststellen können und neben versteinerten Knochen vermutlich auch Überbleibsel des ganzen Mülls entdecken, den wir produzieren.

In jedem Fall ist Utah gesegnet mit Naturwundern die mal ganz weich, rund, geschwungen und harmonisch, dann wieder schroff, zerrissen, wild und durcheinander gezeichnet sind. Eine Gegend, in der man das Wasser zu schätzen lernt und sich die Milchstraße bei Nacht von ihrer schönsten Seite zeigt. Landstriche, die trotz der Invasion motorisierter Allradspielzeuge, immer noch versteckte und nur schwer zugängliche Wildnis vorweisen können.
Außerdem erzählt uns Utah von den Mormonen. Eine Glaubensgemeinschaft , die der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints) angehören. Im Jahre 1847 lies sich der damalige Kirchenführer Brigham Young mit einigen Anhängern der Kirche in Utah nieder und gründeten die Stadt Salt Lake City. Ihnen folgten immer mehr Mitglieder der Kirche und so entwickelte sich Utah zu einer Hochburg der Mormonen, die den Staat bis heute prägen. Geschichten aus verschieden Perspektiven bereichern unseren Blick auf diese Glaubensgemeinschaft im Laufe der Wochen.

So zum Beispiel die von dem 19jährigen Connor, der in einer mormonischen Familie aufwuchs und uns erzählt, während wir einige Tage in seiner Wohnung in Salt Lake City Gast sein dürfen, warum er heute der Kirche den Rücken zu kehrt. Später lernen wir durch Zufall Lorry kennen. Bevor er in Rente ging arbeitete er als Geschichtswissenschaftler in Los Angeles. Heute restauriert er voller Leidenschaft historische Gebäude in Escalante. Ein Ort der ebenfalls durch Mormonen gegründet wurde und heute Ausgangspunkt für Ausflüge in die nahegelegenen Nationalparks ist. Lorry hat ein Buch über die Geschichte von Escalante geschrieben und weiß uns natürlich viel über das Leben der Mormonen von damals zu berichten, während er uns hinter der touristischen Fassade durch den Ort führt. Da die kommende Nacht windig und frostig werden sollte, organisierte er uns spontan auch noch eine Übernachtung in der katholischen Kirche, die in einem ehemaligen Einfamilienhaus beherbergt und neben einem Raum für die Predigt, auch ausgestattet ist mit einer Küche, zwei Schlafzimmern und einem Beichtraum. Mehr Komfort als wir es uns für die Nacht hätten vorstellen können. Eine einzigartige Erfahrung!

Randy und und seine Frau lernen wir im San Rafael Swell kennen, als sie uns aus ihrem Auto heraus Wasserflaschen anbieten und wir uns dabei in ein nettes Gespräch verirren. Als gläubige Mormonen haben auch sie ihre Geschichte zu erzählen. Zum Beispiel von ihrem Sohn, der sich momentan in Spanien befindet um für dort für einige Monate zu missionieren. Und dann ist da noch Eric. Ein passionierter Schrauber und Bastler, dem wir nach vielen einsamen Kilometern auf der ‚Smoky Mountain Road‘ quasi in die Arme fahren als dieser sich gerade auf einer abendlichen Spritztour mit seinem Fahrrad befindet. Zusammen mit seinen freakigen Autos, Fahrrädern und sonstigen Spielzeugen bewohnt er im nahegelegenen Ort ‚Big Water‘ eine Werkstatt. Irgendwie ergibt es sich, dass wir am nächsten Tag unsere Räder in seinen Wohnanhänger packen um Ihn bei seinem Kurzurlaub zu begleiten. An seinem LieblingsCampspot angekommen, genießen wir bei einer Flasche Wein die Stunden am Lagerfeuer und lauschen der Geschichte von Eric. Es ist Eine, die sich sich sehr kritisch mit dem Mormonentum auseinander setzt, mir allerdings zu persönlich erscheint um sie hier zu erzählen.

Als unsere Wege dann wieder auseinander gehen bin ich inspiriert und berührt. Es ist einfach immer wieder wunderbar, wie das Eintauchen in die verschiedener Realitäten bereichert, Verständnis schafft, Vorurteile verdrängt und Probleme in Relation bringt. Für uns ein ganz wichtiger Kraftstoff und Zauber auf Reisen. Zum Schluss also ein dickes, fettes Dankeschön an alle Diejenigen da draußen, die uns Einblicke in ihre Lebenswelt erlauben. Thank you!

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