USA - Südstaaten

Ein kleiner Ausflug  an Orte, wo neben verschieden Musikstilen vor allem auch die  Bürgerrechtsbewegung  ihren Ursprung hat.

Nach knapp 40 Stunden Zugfahrt kommen wir spät in der Nacht in New Orleans an. Die Luft ist warm und die hohe Luftfeuchtigkeit ist deutlich spürbar. Auf dem Weg zu unserem Gastgeber rollen wir durch das für die Stadt so bekannte French Quarter. Es ist spät, doch auf der Bourban Street steppt noch der Bär. In Schlangenlinien suchen wir uns einen Weg um die Betrunkenen herum, ein Alkoholgeruch liegt in der Luft und aus den Bars dröhnt Livemusik. Hungrig halten wir an einem noch offenen Imbiss und bestellen uns ein „Po’Boy- Sandwich“. Wie wir erfahren, ein Klassiker in New Orleans. Der Legende nach soll es Mitte des 20igsten Jahrhunderts einen Streik der Straßenbahnfahrer gegeben haben. Da die Streikenden wenig Geld hatten, begannen zwei Restaurantbesitzer, einfache Sandwichs kostenlos zu servieren. Immer wenn ein Straßenbahnfahrer ins Restaurant kam, riefen die Angestellten etwas in die Küche wie: „Another poor boy sandwich!“.
Aus „Poor boy“ wurde „Po’Boy“ und das Sandwich ist heutzutage an jeder Straßenecke in vielen Varianten erhältlich. AJ, unser Warmshowers-Host ist ein reiner Roadangel. Nicht nur für uns Radfahrer. Vor seiner Tür steht ein Trog Wasser für vorbeilaufende Hunde. Er lässt die Türe immer ein wenig offen, um auch Leckerlis und Streicheleinheiten verteilen zu können. Auch Obdachlose klopfen immer wieder an und fragen, ob sie etwas zu Trinken oder Essen bekommen können. AJ wohnt ziemlich zentral und es scheint, als ob er mit seiner fürsorglichen Herzlichkeit für New Orleans nicht wegzudenken ist.
Die Tage hier vergehen und wir verbringen die Abende immer zu in den Straßen. Mit einem Bier in der Hand wandern wir von Musik zu Musik – denn so ist es, wie man es laut AJ auf den Straßen von New Orleans machen muss. In vielen Kneipen spielen pro Abend drei Bands und das sieben Tage die Woche. Jazzmusik mit Blechbläsern ist die Stilrichtung, die man in New Orleans traditionell am meisten hört, aber auch Blues und Soul tönt hier und da aus den Fenstern. Ein weiteres fantastisches Erlebnis in hier ist die Architektur. Häuser im spanisch und französischen Kolonialstil säumen die Straßen. Manche prunkvoll, andere bescheidener und alle sind sie herrlich bunt. Das muss der karibische Einfluss sein.

Wir verlassen die Stadt in dem wir am Missisippi River entlang in Richtung Norden fahren. Leider kommen wir nicht weit, denn bei Chris sind Schmerzen in der Schulter aufgetaucht, die das Radfahren für ihn extrem unangenehm machen. Also trampen wir nach Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana und steuern das günstigste Hotel der Stadt an. Die Straßen sind der Horror. Wir sind noch nie durch eine so Fahrrad-unfreundliche Stadt geradelt. Keine Seitenstreifen und Autos die ungeduldig hupend und viel zu schnell an uns vorbei rasen. Wie soll es jetzt weiter gehen? Nach zwei Tagen der Abwägung und einem Besuch beim Physiotherapeuten, entscheiden wir uns nochmal fürs Auto. Wir hätten viel viel lieber die Gegend auf dem Fahrrad erkundet. Schließlich sind es die kleinen Dinge zwischen drinnen, die das Erleben auf Reisen für uns so besonders und all die Begegnungen möglich machen. Aber nun sind wir hier und die Schulterschmerzen auch. Ein weiterer Roadtrip mit dem Auto erscheint uns da als die beste Lösung. Währenddessen kann Chris seine Schulter auskurieren und wir haben trotzdem die Möglichkeit, etwas von den Südstaaten zu sehen. Wir machen einfach das Beste daraus und können uns ja glücklich schätzen, die Mittel zu haben um ein Auto zu mieten.
Quer durchs Land kommen wir vorbei an kleinen und größeren Orten. Europäische Siedler waren nicht sehr kreativ und so kommt es, dass wir die Namen einiger Ortschaften wiedererkennen. Darunter Stuttgart, Paris, Hamburg und Minden. Wir sehen Orte, die voller herrschaftlicher Herrenhäuser sind, so wie beispielsweise in Natchez am Mississippi River. Hier wohnten einst Weiße Plantagenbesitzer, die große Baumwollfelder entlang des Mississippis ihr Eigen nennen durften. Heute sind es wahrscheinlich deren Nachfahren, die im Besitz des Reichtums und der Häuser sind. Die Nachfahren der Schwarzen Sklaven leben dagegen eher in anderen Orten. Wir sind jedenfalls sehr überrascht und betroffen, wie sich Schwarz und Weiß, Arm und Reich in Ortschaften, Wohnvierteln und was ich ganz besonders schade finde, in Schulen nach wie vor ziemlich klar voneinander trennt.

Unser nächster großer Halt ist Memphis. Aus dem Westen her kommend erreichen wir die Stadt über die Mississippi Brücke. Die Stimmung ist mystisch grau, Nebel schwebt über dem Fluss und Memphis Hochhäuser kratzen die Wolken. Ein perfekter Zeitpunkt, um erst mal in einem gemütlichen, traditionell amerikanischen Diner zu verschwinden. Unvernünftig, aber ich liebe die Pancakes mit viel Butter und Sirup, während Chris ein Faible für den dünnen Kaffee hat, der hier immerzu nach geschenkt wird. Als ehemaliges Zentrum der Baumwoll- und Plantagenkultur waren es in Memphis gerade die Einflüsse der Afroamerikaner die in der Beale Street, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts den sogenannten Memphis Blues entwickelten. Heute ist die Straße eine eher touristische Angelegenheit. Nach wie vor dringt Live-Musik aus den Türen der Clubs und Kneipen, innovativ scheint die hauptsächlich gecoverte Musik jedoch nicht mehr zu sein. Man kann sich aber gut vorstellen, wie aufregend und rebellisch es hier zugegangen sein muss. Die Musik war Teil einer Revolution, Teil und Ausdruck eines Kampfes für die Bürgerrechte der Schwarzen.
Einen kleinen Eindruck davon, was damals geschah, bekommen wir auch beim „Museum of Civil Rights“ in Memphis. Es erzählt viel über die Diskriminierung von damals und von Heute. Es ist untergebracht in einem umgebauten Motel. Das Motel, in dem 1968 Martin Luther King auf dem Balkon erschossen wurde.
Sklaverei, Bürgerrechtsbewegung und Rassismus sind Themen die uns auf der Reise durch die Südstaaten begleiten. Vermeintlich Themen der Vergangenheit. Jedoch begegnen uns viele Indizien dafür, dass vieles immer noch nicht ausgestanden ist. Abgrenzung, Chancenungleichheit und Rassismus bleibt ein Thema.
Bevor wir die Stadt wieder verlassen, gucken wir noch bei SUN Records vorbei. Es ist das Musikstudio, wo einst Johnny Cash und Elvis Presley ihre ersten Songs aufnahmen. Um so richtig in Stimmung zu kommen, guckten wir am Vorabend „I walk the Line“, eine Film-Biografie über Johnny Cash. Der Song „Folsom Prison Blues“ läuft auf den folgenden Kilometern durch Tennessee quasi in Dauerschleife.

Einige Tage später sind wir in Montgomery, der Hauptstadt von Alabama und ein weiteres Zentrum der Civil Right Movements von damals.
Es ist ein Sonntag im Dezember und zu Chris Traditionen gehört es, in der Adventszeit eine Kirche zu besuchen, an einem Gottesdienst teilzunehmen und den Chören beim Weihnachtslieder singen zuzuhören. Ganz so kommt es dann aber nicht. Wir entscheiden uns gegen die Weihnachtslieder und für den Gospel. Es ist der 145igste Jahrestag der baptistischen Dexter Church, die sich mitten in Montgomery befindet und hauptsächlich von Schwarzen besucht wird. Berühmt ist die eher unauffällige Kirche aus rotem Backstein deshalb, weil Martin Luther King hier einst predigte. Wir werden herzlich gegrüßt und willkommen geheißen, bevor wir auf den hinteren Reihen Platz nehmen. Als der Gospelchor zu singen beginnt, ist die Kirche rappel voll. Wow, wie viel Ausdruck und Kraft in den Stimmen der Männer und Frauen liegt. Die Energie die sie ausstrahlen springt sofort auf die Anwesenden über. Vergleichbar mit einem Konzertbesuch, wird in den Reihen mitgegroovt, gewippt und im Rhythmus mitgeklatscht. Mit den Worten „Let’s get the party started!“ löst der Pastor den Gospel schließlich ab und erntet dafür jubelnden Beifall. Anlässlich des Jubiläums handelt die Predigt von den vergangenen 145 Jahren und ganz zentral von der Bürgerrechtsbewegung, für die die Kirche ein wichtiger Treffpunkt war. Es geht aber auch um Themen, die nach wie vor aktuell sind, Bereiche und Situationen, in denen nach wie vor keine Gleichheit herrscht und für die es sich zu kämpfen lohnt. Es ist eine Predigt voller Enthusiasmus und Energie, die der Gospelchor einmal mehr befeuert. Es wird getanzt, gesungen und zustimmend dazwischen gerufen. Ein durch und durch lebendiger, eindrücklicher Gottesdienst. Einer, den wir so schnell nicht mehr vergessen werden.

Einige Zeit später finden wir uns an der Westküste in Los Angeles wieder. Wir haben hier die Möglichkeit, eine Woche lang auf ein Haus mit zwei Katzen aufzupassen und gemütliche Weihnachtstage zu verbringen. Doch bevor es soweit ist, gilt es noch einige Tage zu überbrücken. Vorbei an Hollywood fahren wir also durch die Villen von Beverly Hills und Bel Air zum nahegelegen Topanga State Park. Die Aussicht hier ist grandios. Wir campen an den schönsten Plätzen mit Blick über Los Angeles, die Hügel und das Meer. Um so stadtnah niemanden zu verärgern stellen wir das Zelt erst auf sobald es dunkel ist und packen zum Sonnenaufgang bereits alles wieder zusammen.

Die Weihnachtswoche im Häuschen vergeht wie im Fluge. Wir gucken Filme, backen Weihnachtsplätzchen, schlürfen Margaritha, kochen schön und verbringen nahezu jeden Abend in Venice Beach. Ein herrlicher Ort um bei Sonnuntergang im Strandgetümmel zu verschwinden, sich einfach irgendwo hinzusetzen und zu beobachten wie Skateboarder und Rollerskater sich auf Beton ausleben. Es ist einfach unglaublich und eine Freude zu sehen, was die Jungs und Mädels der Szene so drauf haben….

Als wir Los Angeles schließlich verlassen und in kleinen Etappen an der Küste entlang in Richtung San Diego zur mexikanischen Grenze radeln, sind Chris Schmerzen in Nacken und Schulter leider immer noch kein bisschen besser. Glücklicherweise geraten wir kurz vor San Diego an ein Netzwerk aus Extremsportlern, die sich unserer annehmen, uns beherbergen und spontan Termine bei einer guten Physiotherapeutin möglich machen. Dabei stellt sich heraus, dass Chris Probleme mit den Bandscheiben an der Halswirbelsäule hat. Leider bedeutet das, dass wir vorerst nicht weiter reisen können. Der Flug zurück nach Deutschland ist bereits gebucht und bis dahin verbringen wir die letzten Tage noch bei Behrouz in San Diego. Wir nehmen nun esrtmal Abschied von unseren Plänen und fokussieren uns auf das Positive:  zum Beispiel, dass wir hier noch Behrouz kennen lernen durften, der ein richtiger Goldschatz ist, dass wir an eine tolle Physiotherapeutin geraten sind die den richtigen Riecher hatte, dass wir unsere Lieben zu Hause schon bald wieder sehen und dass wir ja schließlich zu einem anderen Zeitpunkt die Reise fortsetzten können. Mexiko, auf ein anderes Mal!!

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