USA - Oregon 2022

Unser Leben findet wieder unterwegs statt. Es sind die ersten Kilometer einer Reise durch die USA. Eine Reise die in jeglicher Hinsicht vielfältig beginnt.  

Unsere Reise beginnt in Portland, der größten Stadt des Bundesstaats Oregon. Während Chris das Land schon einige Male bereist hat, sollte es für mich das erste Mal sein. Ich war sehr gespannt auf alles was uns in der USA erwarten wird, denn es gibt immer schon all die Dinge die ich vermeintlich wusste über das Land und dennoch, vielleicht sogar gerade deshalb, war ich neugierig darauf, wie sich die Lebensrealität der Mensch hier in diesem bedeutenden Teil der Welt gestaltet und wie es sich anfühlt mit und unter Ihnen zu sein.
Über die Plattform ‚Warmshowers‘ landen wir bei Scott. Inmitten eines Wohngebietes, welches durchwoben ist von breiten, saftig-grünen Alleen, lebt er mit seiner Frau in einem typisch amerikanischen Holzhaus. Charakteristisch ist für mich die niedrige Bauweise, die Veranda vor dem Haus- bestückt mit einem Schaukelstuhl und der großzügige Garten. „Das ist ja alles wie im Film…“ meine ich staunend zu Chris als wir nach einem langen Übersee-Flug in der Dämmerung dort ankommen.
Bereits in Rente kann sich Scott, als ehemaliger Informatiker einer großen Tech-Firma, voll und ganz seinem Hobby, der Mosaikkunst, widmen. In liebevoller Kleinstarbeit entstehen durch seine Hände wundervolle Kunstwerke von beeindruckender Farbkraft und einer Struktur von der man beim Erfühlen mit den Händen nicht genug bekommen kann.

Hier bekommen wir ein paar herrlich entspannte Ankommenstage geschenkt. Für uns Gelegenheit alles erstmal wirken zu lassen und Antworten zu finden auf die Frage: HOW ARE YOU? Oder HOW IS IT GOING TODAY? Als Teil des amerikanischen Grußrituals bin ich bei jeder noch so kurzen Begegnung, ja schier im Vorbeigehen herausgefordert Rede und Antwort zu stehen und das, wo selbst im Deutschen der Smalltalk nicht meine herausragende Stärke ist. Well, meint Scott grinsend, you lie and say just GOOD, or you just say the truth and answer FANTASTIC!! Alles klar, denke ich schmunzelnd, mal sehen ob mir das jemals locker über die Lippen kommt 🙂
Es ist August und nach wie vor so sommerlich heiß, dass es uns an den Pazifik zieht. Begleitet von kräftigem Grün radeln wir mehrere Tage durch den Tillamook State Forest, bevor wir den Ozean erreichen. Mit Flechten behangene, mächtige Douglasien, Moose aller Art und Schachtelhalme wie Farne zittern im Wind und lassen den Wald verwunschen erscheinen. Ein echter Wald eben. Keiner der den wirtschaftlichen Zwecken dient. Aber auch Dieser ist hier vertreten und nicht selten gekennzeichnet als ‚Privat Property‘. Durchfahrt verboten.

Hingegen ist die Küste Oregons , seitdem 1967 eine entsprechende Regelung getroffen wurde, für die Öffentlichkeit überall zugänglich. Von Feuchtigkeitsschwaden stimmungsvoll umschlungene, schroffe Felsen, kilometerlange Sandstrände und dichte Wälder sorgen hier für ein atemberaubendes Panorama. Schade nur, dass es zum Fahrradfahren nur selten eine Alternative zur viel befahrenen Küstenstraße gibt. In unserer Verzweiflung kommen wir auf die Idee, wann immer es geht, unsere Kilometer bei Ebbe am Strand zurückzulegen. Nah an den Wellen, dort wo der Sand gerade noch hart und feucht genug ist, rollen wir dahin und freuen uns über das Meeresrauschen im Ohr anstelle von vorbeirasenden Motoren. Und während die Sonne hinter dem Horizont langsam verschwindet, wir frisch gebadet am Strand sitzen und dabei ein Bier genießen, setzt langsam das Bewusstsein ein, dass unser Leben wieder unterwegs stattfindet. Jeden Tag woanders, jeder Tag eine eigene Geschichte, mal ereignisreich und wunderschön, mal nur durch viel Musik und Podcasts bewältigbar aber in der Summe doch einfach wahnsinnig inspirierend, wohltuend und vor Allem ein riesiges Privileg.

In Neskowin verlassen wir die Küste wieder. Zwar genießen wir das Leben am Strand, die zahlreichen Brauereien und netten Ortschaften, welche fröhlichen Charme versprühen, aber das Wetter soll feuchter werden und die Autos auf der Küstenstraße gehen uns gehörig auf die Nerven.
Nachdem wir das dicht besiedelte Willamette-Valley, Heimat der fünf größten Städte Oregons und eine der fruchtbarsten Agrarlandschaften der Welt, hinter uns gelassen haben, klettern wir die Kaskadenkette hinauf. Ein Gebirgszug vulkanischen Ursprungs, der uns täglich wunderbare Flüsse, Gumpen und Seen für ein erfrischendes Bad beschert. Dabei radeln wir auch den McKenziepPass hinauf. Ein eindrücklicher und von vielfältiger Landschaft geprägter Gebirgspass, der vom Lava dreier Vulkane bedeckt, uns surreale Ausblicke auf die schwarze, schroffe Mondlandschaft und die schneebedeckten Gipfel der Three Sisters ermöglicht. Ganz oben, in einem Observatorium aus Lavagestein, verbringen wir einen stimmungsvollen Abend und, dem Wind geschuldet, eine unruhige Nacht. Genau so wie damals, als Chris vor 16 Jahren mit seinem Studienfreund Tobi schon mal dort war und dabei Matthias kennen lernte, der ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs, die Nacht dort verbringen wollte. Ein glücklicher Zufall, denn Matthias und Chris wurden beste Freunde, radelten viele Monate und Jahre gemeinsam durch die Welt und wohnen jetzt sogar in der gleichen Stadt. In Freiburg.

In den Cascades bekommen wir leider auch Einblicke in das Waldbrandgeschehen der USA. Schier apokalyptisch  und von immensem Ausmaß sind hier bewaldete Landstriche in den letzten Jahren verbrannt. Zwar findet sich hier eine ganz eigene Ästhetik wieder und ist es faszinierend zu sehen wie langsam aber sicher auch Pflanzen nachwachsen, aber man möchte sich nur ungern vorstellen wie viele Tierleben von den Feuern betroffen sind und wie hoch der Ausstoß an gefährlichen Treibhausgasen ist der durch diese Brände entsteht. Geschweige denn all die Bäume die eben nicht mehr zur Umwandlung von CO2 zur  Verfügung stehen.
Auch in diesem Jahr schlagen die Feuer wieder wild um sich. Eines davon unweit von uns bei Oakridge, sodass die Straße, die wir eigentlich vorhatten zu fahren, zur Sicherheit gesperrt ist. Eine alternative Offroadstrecke ermöglicht uns das Durchkommen trotzdem und glücklicherweise, denn schon einen Tag später hören wir, dass das gesamte Gebiet, darunter auch Oakridge mit seinen 3,5 Tausend Einwohnern evakuiert und das Feuer vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Zum jetzigen Zeitpunkt sind alleine dort etwa 46tausend Hektar verbrannt.

Unterwegs lernen wir Joe kennen. Er lädt uns ein, bei ihm zu wohnen, wenn wir durch Bend, einer netten Stadt in der Hochwüste Zentraloregons gelegen, kommen. Und das machen wir auch prompt. Auf dem Grundstück eines Freundes baut er sich ein Tinyhouse und wir stellen einfach unser Zelt für ein paar Nächte daneben. Es ist spannend und schön mit Ihm. Neben wertvollen Routentipps dürfen wir hören, wie er die Welt wahrnimmt und was ihn beschäftigt. Genauso wie die Tage danach bei Jane und Neil, ebenfalls in Bend. Sowieso ist es einfach unglaublich wie super gut und verlässlich das Warmshowers-Netzwerk hier funktioniert. Wir werden immer nach Strich und Faden verwöhnt und die Begegnungen machen es möglich, dass mir mit jedem Mal die USA ein Stück greifbarer wird. Wobei man sagen muss, dass wir dort immer mit gebildeten, weltoffenen Menschen zu tun haben. Denn eines ist ganz offensichtlich: Das Land könnte nicht gegensätzlicher sein. In eine andere Welt hingegen tauchen wir ein, wenn wir keinen geeigneten Platz zum Zelten auf öffentlichem Land finden. Dann fragen wir Landbesitzer, die nicht selten Farmer sind. Auch dann waren wir immer herzlich willkommen, umsorgt oder wie jüngst aus der Goathead-Hölle in die nächste Stadt gerettet. Aber dazu später ;). Die Sicht auf das Land war hier oft aber definitiv eine Andere.

Einige Tage später, weiter im Osten Oregons, hat sich die Landschaft mittlerweile ganz schön dolle verändert. Ausgedehnte Wüsten, Canyons und Farmland entlang der Flüsse, die vom Schmelzwasser aus den Bergen gespeist werden, prägen die Gegend. Die Orte liegen nun deutlich weiter auseinander und es bedarf guter Planung was Essen und Wasser betrifft.
Aus der Zeit gefallen fühlen wir uns in den kleinen Countystores und Bars auf dem Land, deren Inventar schon etliche Generationen Cowboystiefel hat ein- und ausgehen sehen. (Man beachte den durchlöcherten Holzfußboden:)). Hügel und Felslandschaften aus wundervoll farbigen Gesteinsschichten lassen uns staunen und wenn wir bei Nacht das Gehäule der Antilopen hören, haben wir das Gefühl der Natur ganz nah zu sein. Die Weite hier ist einfach fantastisch!
Jaja, die Natur. Äußerst unfreiwillig lernen wir eine Pflanze kennen. Im deutschen liebevoll ‚Erd-Burzeldorn‘ genannt und hier ‚GoatHead‘ wegen ihrer ziegenkopfartigen Dornen oder auch ‚PunctureWine‘, weil sie zweifelsfrei für platte Reifen sorgt und schlicht überall am Boden entlang kriecht um ihre Stachel irgendwo hineinzustecken um sich an anderen Orten weiter zu verbreiten. Ein Teufelszeug!

Man kann sich uns also durchaus genervt vorstellen, als wir nach ‚a bunch of flat tires‘ einen Pausentag machen und uns am Abend ein paar Bier in der Bar rein pfeifen. Überhaupt haben sich in den vergangenen Wochen Eindrücke aufgestaut, die bei dieser Gelegenheit hoch blubbern und ihre Worte finden. Auch wenn sich die nordamerikanische Kultur von unserer Westeuropäischen längst nicht so sehr unterscheidet wie im Vergleich zu Anderen dieser Welt, bin ich doch ganz schön geflasht und empfinde es gleichermaßen spannend wie abartig, wie das Ausmaß menschlicher Dekadenz hier besonderen Ausdruck findet. Angefangen bei den unnötig großen Autos in mehrfacher Ausfertigung für jeden Haushalt, dem selbstverständlichen und flächendeckenden Einsatz von Verpackung und Einweggeschirr, den stolzen Cowboyjungs, die mit der Knarre am Gürtel durch die Gegend laufen und nur so vor Patriotismus strotzen, dem dramatischen Einsatz von Klimaanlagen welche dafür sorgen,dass du dir mitten in der Wüste den Arsch abfrierst, die Tonnen an Eiswürfeln die für jedes Getränk produziert werden, all die wehenden US-Flaggen in den Gärten, die Sache mit der Krankenversicherung, die unglaublich hohe Obdachlosigkeit der Menschen die am System scheitern, die seltsame Interpretation von Freiheit, ich könnte ewig so weitermachen…. Ja, vieles lässt mich verständnislos den Kopf schütteln, doch es ist da und real und ein Teil unserer Welt. Ich bin dankbar für die Eindrücke und merke, was das Reisen mit mir macht. Es macht mich neugierig. So dolle, dass ich alles wissen möchte über die Geschichte der USA und wie das Land zu dem geworden ist, welches es heute ist. Ich lade mir Podcasts herunter und sauge jede Konversation auf, freue mich dass wir die Sprache sprechen, möchte die Menschen verstehen und könnte ewig beobachtend irgendwo sitzen und dabei mit Chris all die Eindrücke diskutieren . Ich mag mir aber auch bewusst machen, dass dieser Teil, den ich hier mit meiner kritischen Brille sehe, nur Einer von einer Vielfalt an Teilen in der USA ist. Nur eine Medaillenseite die mich halt in diesen ersten Wochen besonders anspringt. Vielleicht auch weil sie so gut darin ist, sich breit und laut zu machen.

Die letzten Kilometer am Owyhee River entlang und durch den Succor Creek Canyon gaben uns einen landschaftlichen Vorgeschmack auf die geologischen Wunder, die uns bald in Utah erwarten werden. So ein Genuss! Und während wir bei Rachel & Patrick in Boise, der Hauptstadt von Idaho, ein paar Tage Pause machen, in die Welt des Bierbrauens eintauchen, den Geschichten lauschen die das vielgereiste Paar zu erzählen hat und wir unseren Reifen mit speziellen Slimetires und Schutzbändern einen Extraschutz gegen die Goatheads gönnen, entstehen diese Zeilen und wächst die Vorfreude auf das was uns im nächsten Teil der Reise durch die USA erwarten wird. Seid alle herzlichst gegrüßt!

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