Türkei

Salzwüste, Ballons und Traumstrände

Mit gemischten Gefühlen fahren wir auf die Grenze zur Osttürkei zu. Es ist der 9. Oktober und nur wenige Tage zuvor hat Präsident Erdogan die Syrienoffensive gestartet. Ja, ich bin wohl ein bisschen aufgeregt. Irgendwie kann ich nicht einschätzen wie alles werden wird. Die Stimmung, die Menschen, und wie bedeckt soll ich mich eigentlich anziehen?

An der Grenze zeige ich meinen Ausweis vor. Nach einer kurzen Bearbeitungszeit meint der Beamte dass ich wieder umdrehen muss, da etwas nicht stimmt. Irritiert setzte ich voller Gehorsam schon zum Wenden an, als die Beamten laut loslachen und mir zu verstehen geben dass es nur ein Scherz war. „Maren, mach dich mal locker!“ ermahne ich mich insgeheim und rolle dabei auf bestem Straßenbelag hinein in die Türkei.

Die hügelige Landschaft ist karg und auf den langgezogenen Straßen ist kaum Verkehr. Hin und Wieder kommen uns LKWs entgegen die uns winken und willkommen heißen. Das tut gut, denn wir begegnen auch Polizei- und Militäreinheiten die schwer bewaffnet am Straßenrand Kontrollen durchführen und für ein beklemmendes Gefühl sorgen.

Als wir die erste Stadt erreichen und Chris im Supermarkt verschwindet bildet sich um mich herum eine Traube von Kindern auf Fahrrädern. Neugierig stellen sie viele Fragen an mich, die ich leider nicht verstehe. Trotzdem haben wir eine gute Zeit zusammen und ich merke wie dank der fröhlichen Neugierde der jungen Radfahrer die Anspannung in mir weicht. Kinder sind halt einfach Kinder und Menschen sind Menschen. Überall auf der Welt, ganz egal was auf politischer Ebene läuft.
Freude auf die Türkei macht sich breit, wieder eine andere Kultur, andere Lebensmittel und Gerichte, andere Gewohnheiten und Traditionen warten darauf entdeckt zu werden.

Am selben Tag noch sind wir zu Gast bei bei einem jungen Lehrerpärchen aus der Warmshowers-Community. Bei Embre und seine Frau Hatice, die vor zwei Jahren erst das Fahrradfahren gelernt und schon mit Sack&Pack auf Touren geht.

Nach einem einzigartigen Fusion- Essen (schwäbische Kässpätzle mit türkischen Bulgurköfte) sitzen wir bis tief in die Nacht zusammen, trinken einen Chai nach dem Anderen und erzählen aus unseren jeweiligen Welten. Wir erfahren wie man Wikipedia nutzen kann obwohl die Seite gesperrt ist und warum türkische Frauen keine OBs verwenden. Hatice erzählt von ihrer riesigen kurdischen Familie  und dass es manchmal schwer ist, den Besuchs-Erwartungen all der Tanten und Onkels gerecht zu werden. 

Vom Landes-Osten reisen wir weiter ins Zentrum der Türkei, in die Region Zentral-Anatolien wo wir Godelein, unseren französischen Freund, wieder treffen. Exotische Landschaftsformen verdrehen uns auf den kommenden Kilometern den Kopf. Darunter Kappadokien, eine Region wo Vulkane und Eruptionen einst verrückte Felsformationen kreierten und über die Jahrtausende spannende Höhlensysteme, ja ganze Städte in Felsen gefasst, entstanden sind. Eine Landschaft die märchenhaft anmutet, ganz besonders beim Sonnenaufgang, wenn mehr als hundert Luftballons in die Luft steigen und die Kulisse noch bunter und verwunschener wirkt als sie es eh schon ist.

 

Nur wenige Fahrtage später, als wir gegen Abend den riesigen Salzsee ‚Tüz Gölü‘ erreichen, ist die Landschaft in ein rosarotes Licht getaucht. Der Boden aus Salz glitzert als wir beschließen zum campen auf den See zu fahren. Es fühlt sich an wie fliegen. Wir verlieren den Bezug zu Entfernung und fragen uns ob wir nun schon 1, 2 oder 5 Kilometer hinaus gefahren sind als wir beschließen unser Lager zu errichten. Nachts, unter freiem Himmel und gebettet auf Salz, staune ich sehr über das Nichts am Horizont. Dabei zweifle ich an meinem Verstand und freue mich über die Wunder der Welt.

Während wir so durch das Land reisen entwickeln wir ein kleines Hobby. Leider kommt es oft vor, dass wir auf der Suche nach einem Platz zum Zelten massenhaft Müll vorfinden und dann verleitet sind einfach weiter zu fahren. Dorthin wo man sich müllfrei wohlfühlen kann. Eines Tages fragen wir uns ob das die Lösung sein kann und fangen schließlich an den Müll aufzusammeln. Wenn man einmal angefangen hat, fällt es schwer aufzuhören, macht es sogar Spaß und unser Frust wandelt sich in ein Gefühl der Zufriedenheit während dabei jedes Mal stolze 10 bis 15 Tüten voll Unrat zusammen kommen.
Für Ibrahim, einem Journalisten aus Konya, ist das ein gefundenes Fressen. Derzeit gibt es, auf Grund der eingeschränkten Pressefreiheit, wenig sinnvolle Themen über die er schreiben könnte und er beklagt zudem dass es furchtbar sei wie unbedacht Menschen ihren Müll liegen lassen, es keine Instanz gibt die sich dieser Aufklärung annimmt.
Wie schön also, dass wir mit unseren Sammelaktionen nicht nur saubere Campspots schaffen, sondern vielleicht ja auch den Ein oder Anderen Leser ermutigen die zahlreichen Mülltonnen zu nutzen.

Wir sind drei richtig dreckige Stinkbomben, als wir gerade in einem Pide-Restaurant zu Mittag essen und Mustafa uns einlädt bei ihm zu übernachten. Wir könnten eine Dusche nehmen, unsere Sachen waschen und uns ein wenig erholen. Dieses verlockende Angebot können wir nicht ausschlagen und folgen ihm zu seinem Zuhause. Seine Schwester Gülbeyaz ist ganz aufgeregt, denn es ist das erste mal dass sie fremde Gäste beherbergt. Sofort werden die Betten gemacht, ein Chai aufgesetzt und ein Bad eingelassen.
Es ist ein ungewöhnliches Erlebnis für mich aber auch ein Schönes, als Gülbeyaz mit einer selbstverständlichen Fürsorge das Badezimmer betritt während ich unter der Dusche stehe. Sie ist gekommen um mir den Rücken zu schrubben, denn den kann ich selbst ja nicht erreichen. Unter der Kraft einer routinierten älteren Frau spüre ich förmlich wie sich die Drecknudeln lösen. Als sie fertig ist wickelt sie mich mütterlich in ein Handtuch, tätschelt mir die Wangen und geht wieder. Ich bleibe schmunzelnd zurück und stelle fest, dass mir dieser vertrauten körperliche Umgang unter Frauen, von dem ich vermute dass er Teil der Kultur ist, irgendwie sympathisch ist.

Als wir in Antalya das Mittelmeer erreichen, radeln wir von einem menschenleeren Traumstrand zum Nächsten. Jeden Morgen nehmen wir ein Bad im türkis klaren Wasser, bevor wir uns mit Ruhe und Genuss dem Frühstück widmen, ein zweites Mal baden gehen und schließlich an der Küste entlang weiterziehen. Es ist wunderbar bei Dämmerung den Fischern zuzusehen und zu beobachten wie die Menschen in Scharen und glücklich die Moschee verlassen wenn das Gebet des Muezzins beendet ist. Es fühlt sich so richtig urlaublich an von den vielen Orangen- und Granatapfelbäumen zu zehren und bei jeder Gelegenheit mit Taxifahrern, Tankstellenwärtern und Obsthändlern einen Chai zu trinken. Da der Wechselkurs es gut mit uns meint, kommen wir auch in den Genuss vieler türkischer Köstlichkeiten. Darunter PIDE – in allen vegetarischen Varianten, KÜNEFE – ein Dessert aus Kadayif Nudeln, Käse und Sirup, MERSIMEK ÇORBASI- eine Linsensuppe, CIG KÖFTESI – das sind Köfte aus Bulgur, und GÖZLEME – ähnlich wie Pfannekuchen, gefüllt mit Käse, Kartoffeln oder Spinat.
Ja, wir lassen es uns richtig gut gehen in der Türkei. Wir fangen an unsere Heimreise und damit auch den Ausklang einer langen, abenteuerlichen Zeit, zu zelebrieren.
Auf bald ihr Lieben. Ich bring Sonne mit!

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