Südamerika Teil 1

viel Matsch um nichts

Die Ankunft am Aeropuerto in Lima versetzt uns erstmal einen echten Kulturschock.“Ihr wollt von hier zum Zentrum – mit Fahrrädern ???“ ist die Gegenfrage der Sicherheitsbeamten am Flughafen die wir um Rat fragen. Empfehlen können sie uns das nicht, die Gegend ist viel zu gefährlich – Überfallgefahr. Wenn dann bloß niergends anhalten ist der letzte Rat den wir mit auf den Weg bekommen. 

Die Verkehrspraktiken auf der mehrspurige Avenida Faucett gleichen im morgentlichen Berufsverkehr einem Überlebenskampf. Regeln scheint es nicht zu geben, wir passen wir uns zwangsweise an und fahren über rote Ampeln, überholten LKW’s auf allen verfügbaren Spuren wahlweise rechts oder links. Ein Gutes hat es immerhin, in diesem Chaos kann uns kaum jemand ernsthaft überfallen wollen.

Die Cordillera Blanca, eine vergletscherte Andenregion in Peru, ist unser erstes wichtiges Ziel. Hier müssen wir unsere Körper erstmal an die dünne Höhenluft gewöhnen. Einer dieser „Akklimatisierungsausflüge“ führt uns vom Tal in Caraz auf 2200m zur 4200m hoch gelegenden, smaragdfarbenen Laguna Paron. 

Die Höhenkrankheit trifft uns wie ein Hammer. Müdigkeit, Schlappheit, Kopfschmerzen, Herzrasen, Schnappatmung – die letzten Kilometer quälen wir uns nur noch hoch. Wir liegen abends völlig aphatisch in unseren Zelten, zu schwach um noch Essen zu kochen – selbst schlafen ist unter dem Einfluß der Höhenkrankheit kaum möglich. Doch nach erfolgter Höhenanpassung kann die Radtour starten. 

Unsere erste Bewährungprobe ist der Pass „Portachuelo de Llanganuco“ – 45km permanente Steigung auf einer Piste die schlechter kaum sein könnte – loser Steinboden, Schlaglöcher und handballgroße Felsbrocken soweit das Auge reicht. Aber die Landschaft entschädigt, auf 4500m errichten wir ein Camp wofür sich alleine schon viele der Mühen lohnen. Unsere Zelten stehen direkt vorm Huascaran, dem mit 6768m höhsten Berg der Tropen und Perus! Aber nicht nur vor dem – Chopicalqui, Huandoy- wir sind umzingelt von 6000m Bergen und blicken zudem 1000m den Pass hinunten in die Tiefe auf eine türkise Lagune. Die Abfahrt nach Überquerung der Passhöhe bei 4750m bei ist indes ist kein Spaß. Die Bremse kann man kaum einmal los lassen, so holprig geht es zur Sache.

Die Dörfer durch die es geht hinterlassen einen mehr als traurigen Eindruck. Wir sind angekommen in der 3. Welt – so scheint es zumindest. Armut pur soweit das Auge reicht, erschreckende Wohnverhältnisse, Dreck und Müll! Immer wieder werden wir von Menschen ohne Zähne und Kinder mit flehenden Augen um Pesos und Essen angebettelt. 

Wenn wir, die Gringos, mit unseren Rädern eingefahren sind wir stets eine Sensation – alle Augen richten sich auf uns, meistens freundlich und nur ab und zu auch anti-nordamerikanisch feindlich. Nur sehr selten erleben wir das Kinder mit Steinen nach uns werfen. Ansonsten erleben wir, trotz der für deutsche Maßstäbe miserablen Lebensverhältnisse, lebensfrohe und freundliche Menschen! Weniger freundlich sind die Hunde. Oft hilft es nur noch mit Steinen zu werfen – ein Radler mit einer hässlichen Bisswunde in der Wade war uns Warnung genug. 

Der Punta Olimpica Pass setzt einige Tage später noch eins drauf – 4890m über Null! Zur Passhöhe, einer alten stillgelegten Straße, müssen wir die letzten 300 Höhenmeter hyperventilierend schieben, die Piste ist zu schlecht und der unberührte Schnee liegt zu hoch!

Per 24 Stunden Busfahrt geht es mangels Zeit nach Arequipa – Weltkulturerbe der UNESCO. Und in der Tat, es ist eine betörend schöne Altstadt. Aber wie immer in Peru, nur ein paar hundert Meter außerhalb vom Zentrum erwarten uns Dreck, Müll, Gestank, dunkle Dieselwolken und Hausbaracken. Die Peruaner sind drauf und dran ihr Land, ihre Städte und ihre atemberaubend schöne Natur, zuzumüllen.Es ist traurig mit anzugucken wie selbstverständlich auch die Kinder hier den Müll draußen in der Natur entsorgen. „Wer soll das bloß alles irgendwann wieder wegräumen“ fragen wir uns immer wieder verzweifelt. 

Warum besteigt man den Everest? – „Weil er da ist“ hat der berühmte Bergsteiger George L. Mallory mal auf diese Frage geantwortet. Ähnlich ergeht es uns nahe Arequipa. Da liegt natürlich nicht der Everest, aber immerhin ein 6000er Berg im Weg. Und da er nun schon mal da ist, können wir auch versuchen ihn zu besteigen. Wir „buchen“ uns einen Bergführer und los geht das Abenteuer 6000er! Der finale Gipfelangriff soll vom letzten Camp auf 5200m um 1 Uhr nachts starten – „Wir wecken euch um 1 Uhr, es ist wichtig das wir früh los kommen“ waren die Worte des Bergführers.

Als ich jedoch um 2:30 zufällig aus den höhenbedingten Halbschlaf aufwache ist aus den anderen Zelten höchstens ein Schnarchen zu hören – das Weckkommando müssen wir übernehmen. Kletterkunst ist für diesen Gipfel wahrlich nicht von Nöten, aber spätestens ab 5700m ist mein Körper am Ende. Wir trotten den Gipfel in einem atemberaubend langsamen Tempo entgegen, gerade so als würden wir hier wirklich heldenhaft den Everest besteigen. Die dünne Luft und wieder mal alle Anzeichen von Höhenkrankheit machen jeden Schritt zur Überwindung. 2 Schritte vorwärts und erstmal wieder nach Sauerstoff kämpfend in Hechelatmung verfallen. Unser Bergführer sagte uns zu Beginn, dass der Kopf bereit sein muss für so einen Gipfel und ja, er hat Recht – zum Gipfel ist nur mein Wille und mein Kopf gelaufen, mein Körper war nur Balast. Am Gipfel sind wir zu schwach uns zu freuen…… 

Von Arequipa geht es über den grandiosen Colca Canyon, dem zweittiefsten Canyon der Welt, weiter gen Cusco – das sagenumwobene Maccu Pichu steht natürlich auch auf dem Touristen Programm! 

Der Patapampa Pass, 4910m hoch, stellt sich jedoch zunächst in den Weg. Dieser Pass ist jedoch asphaltiert, wird von vielen LKW’s befahren. Da liegt es nahe sich ab und zu an einen der langsamen LKW’s anzuhängen und ziehen zu lassen. Ein Radler hinten im Schlepptau – für die LKW Fahrer hier kein Grund nervös zu werden. 

Diese Hilfe ist willkommen – mich hat es mal wieder mit Durchfall erwischt. „Können wir uns die Hände waschen?“ Diese Frage wurde in einem der typischen Hühnchenrestaurants zunächst mit einem Stirnruntzeln und dann mit einer Schüssel Wasser, die selbstverständlich ohne Seife auf die Straße gestellt wurde, beantwortet. Wo und wie wäscht sich der Koch hier die Hände? Bei dieser Art der Hygiene ist es kein Wunder das man mit einem untrainierten europäischen Magen ab und zu Montezumas Rache zu spüren bekommt.

Maccu Pichu – neben Tikal die einzige UNESCO Stätte die dem Weltkultur- als auch dem Weltnaturerbe angehört und die Touristenakktraktion Südamerikas schlechthin. Keine Straßen führen dorthin, einzig ein Zug kann zur „bequemen“ direkten Anreise benutzt werden. Der Weltwunderaufschlag ist bei den Fahrpreisen freilich schon mit eingerechnet. 

Wir entscheiden uns für die billige, zeitintensive und anstregende Anreise. Diese ist als „Weg der Armen“ in unserem, bei Reiseradlern über Mund zu Mund Propaganda in ganz Peru bekannten, Hostel in Cusco beschrieben. Per Rad, Bus, Collectivo (Kleinbus der Einheimischen, der spaßeshalber auch Chicken Bus geannt wird weil hier oft auch die noch lebenden Hühner transportiert werden) und Wanderstrecke entlang der Schienen geht es in 4 Tagen zur bekannten Inka Stadt. 

Einige Tag später bekomme ich einen Anruf aus Deutschland – Grund ist die Berichterstattung in deutschen Medien über ein Busunglück in Peru. Und tatsächlich, dieses Unglück hat sich wohl nur 1 Tag später auf genau der Strecke ereignet die wir auf unserem Weg zur Inkaruine ebenfalls per Bus gefahren sind. Ein Passstraße die von über 4300m unglaubliche 3 Höhenkilometer hinunter ins subtropische Tal führt. Wie so oft in Peru landschaftlich atemberaubend aber sicherheitstechnisch ein Albtraum, ungesicherte Steilkanten an denen es mehrere hundert Meter nach unten geht – ein Fahrfehler und……

Am Lago Titicaca erreichen wir das Altiplano, eine Hochebene die nie unter 3500 Höhenmeter abfällt, und Bolivien. 

Von La Paz aus steht eine Reise ins Unbekannte an. Zunächst geht es im Touristenprogramm die Road of Death, die ehemals gefährlichste Straße der Welt, 3 Höhenkilometer in subtropische Gebiete hinunter. Aber unser Ziel liegt nochmal knapp 1500 Höhenmeter tiefer, der tropische Regenwald im Amazonas Becken.

 Über die Strecke dorthin, völlig untouristisch, wissen wir nur das sie bei Regen unpassierbar werden kann. Wir sind gespannt ob und wie wir die Tropen, eine für uns völlig neue Klimazone, und den Dschungel mit unseren Bikes erreichen werden….

In La Paz wohnen wir für ein paar Tage in der „Casa de Ciclistas“ Cristian stellt hier ein ganzes Haus in bester Lage exklusiv Radreisenden zur Verfügung. Unsere WG Mitbewohner auf Zeit sind größtenteils Radler die den ganzen Kontinent bereisen, von Feuerland bis Alaska. Ein Paar aus der Schweiz ist gar seit 8 Jahren unterwegs. Mit meinen knapp 5 Monaten bin ich hier ein Kurzzeit-Radreisender. Der Abschied von der Stadt und den interessanten Menschen fällt schwer, aber die Zeit drängt. Nachdem wir auf unserer Wintertour die subartkische Klimazone erreicht hatten ist das Ziel östlich von La Paz das andere Extrem: der tropische Dschungel!

Zunächst geht es noch gemütlich auf der berühmten „Road of Death“ hinunter. Die ehemals „gefährlichste Straße der Welt“ mit spektakulärer Straßenführung wird heute fast nur noch von Mountainbikern befahren. Aber selbst dabei kommen wohl noch einige zu Tode.

Unsere Probleme fangen danach an: Straßensperrung. Durchlass nur zwischen 17 Uhr und 5 Uhr. Wir nehmen notgedrungen einen schrottreifen LKW als Mitfahrgelegenheit um weiter zu kommen. Die Piste ist saueng, kurvig, massiv erdrutschgefährdet und direkt neben uns geht es ungesichert mehrere hundert Meter in die Tiefe – eine „echte“ Todesstraße.

 Die Straße wird rappelvoll – es folgen Manovriermanöver an der Steilkane unter Scheinwerferlicht das den Namen nicht verdient. Eine Stelle ist hell erleuchtet: Dort ist vor ein paar Tagen ein Reisebus hinuntergestürzt – ohne Überlebenen. Unser Fahrer ist zum Glück ein Meister seines Faches. Wir kommen lebend nachts in Caranavi an und suchen uns unter „Gringo“ Rufen eine Bleibe. 

Die 400 km lange Sackgasse in den Dschungel ist auch sonst ein Risiko, eine Erdpiste die bei Regen unpassierbar werden kann. Da die Regenzeit ihren Höhepunkt normalerweise erst ab Januar erreicht, sind wir guter Dinger. Pech nur, das „die Regenzeit dieses Jahr viel früher dran ist“ wie uns ein Einheimischer später aufklärt. Eines Nachmittags fängt es an zu regnen wie ich es selten erlebt habe. Als der Regen aufhört bleibt nur Matsch übrig. Dieser Matsch ist eine klebrige Masse die sich um alle beweglichen Teile legt. Die LKWs und auch wir stecken fest, nichts geht mehr. 

Die Katastrophe ist perfekt als beim Versuch noch etwas zu fahren das Schaltauge, also die Befestigung des Schaltwerkes am Rahmen, bricht. Totalschaden im Nichts, im Schlamm! Durch viel Improvisation und Glück das richtige in der Notfallbox zu finden, können wir den Schaden bedingt beheben. Trotzdem müssen wir nochmal ein Taxi nehmen. Auch diese Straße ist tagsüber gesperrt, wir fahren nachts. Unser Fahrer, Pedro, hat den ganzen Tag gearbeitet und ist völlig übermüdet. Kokablätter kauend jagt er sein Taxi über die Rüttelpiste, ab und zu hält er an um ein paar Minuten zu schlafen. Überglücklich erreichen wir den Dschungelort Rurrenabaque.

Dort buchen wir uns einen Führer. Mit Sandro, einem Idigena der im Dschungel aufgewachsen ist, verbringen die nächsten Tage mitten im tropischen Urwald.  Wir schlafen nur mit einem Moskitonetz über uns, morgens hören wir die Brüllaffen und bei Nachtwanderungen sehen wir natürlich auch übergroße Taranteln. Wir schwimmen zusammen mit Delphinen die uns vor den Krokodillen beschützen und essen nach Kokusnuss schmeckende Ameisenköniginnen bei lebendigem Leib. Und natürlich schwingen wir uns auch mit Lianen durch die Gegend. Tarzan lässt grüßen. 

Ich versuche Sandro indes davon zu überzeugen doch ab und zu mal die Zähne zu putzen. „Indigena brauchen so etwas nicht“ sagt er immer wieder. Warum Indigena im Alter dann auch keine Zähne mehr brauchen kann er mir zwar nicht erklären, aber ich fürchte meine Überredungskünste haben bei ihm versagt. Immerhin, seine Kinder müssen 2 mal am Tag die Zähne putzen – das reicht mir fürs Erste. 

Eine wichtige Frage war jedoch noch offen: Wie kommen wir jetzt wieder zurück nach LaPaz um unsere Radtour gen Süden fortzusetzen? Der erneute lange Landweg sollte nur die absolute Notlösung sein. Die Dame bei der Amazonas Fluglinie weigerte sich jedoch standhaft unsere Räder als Gepäck einzuchecken. Verzweifelt fragen wir ob es möglich sei, das Rad seperat als Fracht zu verschicken. „Klaro, das ist möglich. Und in der selben Maschinen können sie dann auch mitfliegen“ Kein schlechter Witz sondern nur die ganz normale Absurdität, die wir nur zu oft in Peru und Bolivien erlebt haben 

So endet auch das Abenteuer Dschungel wie es bisher immer auf allen unseren Reisen geendet hat. Irgendwie geht alles gut. Ich bin immer wieder fasziniernd darüber was alles möglich ist wenn es einfach nur macht. Das ist eine der schönsten Erfahrungen bei unserem „Abenteuer Radreise“

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