Schottland

wild, verwunschen und voller Eindrücke aus der Vergangenheit

Es ist der 26.April als wir Campbeltown erreichen. Eine kleine Küstenstadt, gelegen am äußeren Zipfel der Kintyre-Halbinsel im Westen Schottlands.

Hinter uns liegen 45 Reisetage hinein in den Frühling. Als wir in Schottland ankamen blieb uns eigentlich nichts anderes übrig als Fahrrad zu fahren. Lange Pausen waren nicht denkbar. Zu eisig fegte der Wind über die Insel. Wenn der Wolkenvorhang aufriss, die Sonne hervor spiggelte, wärmte sie zart unsere Backen und sorgte für atemberaubend goldene Lichtspiele. Meere an Osterglocken säumten zu der Zeit schon die Wegesränder und schmückten die Gärten während ihre Köpfchen im Wind wippten als lauschten sie einer groovigen Frühlingsmusik. Nicht mehr lange. Der Frühling steht vor der Tür, redeten wir uns gut zu – und so lange gilt es FAHREN, in Bewegung bleiben, in Büchereien und Supermärkten aufwärmen, Abends schnell in den Schlafsack huschen oder hin und wieder ausnahmsweise mal in einem der saugemütlichen Pups am offenen Feuer aufwärmen und ein Pint zischen. Wir kochen fettig und kalorienreich, essen riesige Portionen denn die Kälte raubt uns Energie. Als in der Nacht Schnee angekündigt wird geraten wir zufällig an einen Kirchenvorsteher der uns einlädt die Nacht im Kirchengemeindesaal zu verbringen. Was für ein Geschenk – auch dass der am Abend dort stattfindende Tanzkurs für uns inklusive ist. Tanzlehrerin ‚Anne‘, eine liebenswerte gebrechliche ältere Dame mit englischem Anmut dirigiert uns und die anderen drei Teilnehmer streng während sie auf ihrem Stühlchen sitzt und immerzu in ihrem Notizheft nachliest welcher Song nun folgt. Ihre Anweisungen verstehen wir kaum aber das macht nichts denn wir sind eh mit sämtlichen Schrittfolgen total überfordert und liegen vor lachen fast am Boden. Anschließend sitzen wir nach englischer Art zusammen, trinken Tee und plaudern. Als wir schließlich zu Bett gehen erhalten wir alle erdenklichen Segenswünsche für unsere Reise.
Es war ein schöner Abend und ich bin wirklich mal wieder fasziniert davon, empfinde es fast wie Yoga für den Geist, der sich während des Unterwegsseins ständig auf Ungewohntes einlässt. Wahrscheinlich hätte ich niemals an einem Kirchentanzkurs teilgenommen. Man taucht in so viele Welten und Realitäten ein, wirft Vorurteile über Bord und stellt fest dass die Schublade in die man jemanden steckt nicht die Richtige ist. Man bricht mit Gewohnheiten, überwindet Ekel und Furcht. Irgendwie lerne ich mich dabei immer mal wieder von einer anderen Seite kennen. Ich finde das spannend. Es ist als würde man Muskeln und Glieder bewegen von denen man nicht wusste dass sie existieren.

Dann verbringen wir eine Woche in Edinburgh wo wir bei einem dort heimischen Radfahrer wohnen können. Edinburgh, grade groß bzw. klein genug um alles zu Fuß erreichen zu können, entzückt mit seinen alten Gemäuern, den weißen Fensterchen, den vielen Blumenkübeln vorm Haus, den bunten Ladenfronten, den netten Cafes und den altertümlichen Türklingeln und Straßenlaternen. Der schottische Klang des Dudelsacks dröhnt durch die Gassen während die in Tweed und Kilt gekleideten Straßenmusiker sich dabei eine goldene Nase verdienen.
Es ist immer noch kühl als wir erholt und freudig endlich in die Highlands aufbrechen. Zwar geraten wir noch in den ein oder anderen Schnee- oder Regensturm und wachen morgens in einem in Frost eingekleidetem Zelt auf aber die Tage werden trotzdem spürbar wärmer.

Die Schotten haben eine große Outdoorkultur. Alle scheinen immerzu wetterfest gekleidet und laufen auch gerne mit matschigen Gummistiefeln und Regenhose zum einkaufen durch den Supermarkt. Stets gerüstet.

Die Highlands sind dünn besiedelt. Riesige Moor und Sumpflandschaften aber auch wilde, ganz verwunschene und von Moos eingekleidete Wälder machen die Landschaft aus. Die schneebedeckten Gipfel sorgen dabei absolut für das Sahnehäubchen des Ganzen. Ich liebe es wie die kleinen und schneeweißen Cottages inmitten der braun-grünen Hügellandschaft wie Schäfchen auf der Weide idyllisch leuchten. Es ist wirklich wahnsinnig schön hier. Ein Outdoorparadies!
In mitten dieser abgeschiedenen Gegenden befinden sich Schutzhütten, sogenannte Bothys, die ganz schlicht ausgestattet für jeden Vorbeiziehenden zur Verfügung stehen. Jede ist individuell und oft traumhaft gelegen. Wenn wir piss-nass, verdreckt vom Sumpf und mit kalten Pfoten abends eine solche Bothy auftreiben konnten, dann war das das Größte, haben wir uns gefühlt wie die Könige auf Erden 🙂

Achja, die Moore Schottlands. Wie oft stehen wir knietief in der matschigen Plörre, schieben bzw. hiefen und ziehen wir unsere Räder kilometerlang weil RadFAHREN einfach nicht möglich ist. Wie gut dass die Mückensaison noch nicht begonnen hat und dass die Moore so wichtig sind fürs Klima, für die Artenvielfalt und für die Torfentwickung. Torf- dessen Dämpfe dem legendären schottischen Whisky den rauchigen Geschmack geben. Während wir in Zentralasien den Tag mit einem Schluck bulgarischen Rakija von Ivan besiegelten, taten wir es hier mit Whisky. In Inverness besichtigten wir sogar eine der zahlreichen Destillerien. Das gehört einfach dazu :). Ich war nie eine große Whiskytrinkerin aber hier schmeckts einfach und Draußen eh!

Draußen sein – manchmal habe ich das Gefühl ich bin eins mit der Natur. Mit dem verfluchten Wind, mit den Bächen in denen wir uns waschen, mit dem Matsch in dem wir versinken, mit den unzähligen Rehen die mit uns Wald und Wiese teilen, mit dem Duft der Blüten und des Salzwassers an der Küste, mit dem Schweiß auf der Haut und dem Salz in den Haaren, mit den knurzeligen Bäumen und dem weichen Moos auf dem wir sitzen. Mit den Schafen und Lämmern die uns anblöken, so niedlich dass es mir fast das Herz zerreißt und mit der Sonne die es echt gut mit uns meint, uns irgendwann fast jeden Tag ein treuer Begleiter ist und mit den einhergehende wärmeren Temperaturen für Befreiung und Entspannung sorgt. Juhu, es ist Frühling – denke ich als ich schnitzend auf der Wiese sitze und nach einem schattengebenden Baum Ausschau halte.

Schottland war auch eine Reise durch die letzten Jahrhunderte. Oft und ehrfürchtig stehen wir vor prunkvollen Herrenhäusern, Schlössen und Burgen, bestaunen die uralten Bäume und die prachtvollen Gärten. Kilometerlange Steinmauern schlängeln sich durch das Land und wir stoßen täglich auf Ruinengemäuer die unserem Zelt Windschutz geben und uns immer wieder fantasieren lassen wie die Menschen hier wohl früher gelebt haben.

Ich mag die Friedhöfe. Uralte Grabsteine, teilweise mehrere hundert Jahre alt, stehen teilweise moosbedeckt schräg und krumm auf blumiger Wiese um die Kirche herum verteilt. Ganz schlicht, ganz natürlich, ohne jeglichen Schnickschnack.
Friedhöfe sind von Land zu Land, von Kultur zu Kultur so unterschiedlich gestaltet. Ich muss darüber immer wieder staunen.

Schottland bzw. Europa zu durchradeln bedeutet nicht das große Abenteuer aber es ist die Historie, die Vegetation, die Menschen und eben die Details die es spannend machen. Schön zu sehen wie vielfältig Europa doch ist.
Klar gibt Tage da ist Radreisen auch total doof. Es läuft einfach nicht. Da ist die Neugierde nicht da, das Fahrrad fährt gefühlt mit angezogener Bremse und ich wüsste tausend Dinge die ich lieber täte. Dann vergehen ein paar Tage, ein Wetterwechsel kommt, die Landschaft verändert sich, ein spannender Input überkommt einen oder man erlebt eine schöne Begegnung. Oft weiß ich auch gar nicht warum – aber die Freude kommt immer wieder und die Glücksmomente sind einfach zahlreich!

Die letzten Tage in Schottland breiten sich hier und da blaue Teppiche aus. Die ‚Bluebells‘ blühen überall da wo alte Bäume ihr Wurzelwerk ausbreiten. Verwunschen und voller Spuren und Eindrücke aus der Vergangenheit – so wird mir Schottland in Erinnerung bleiben.

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