Russland und Mongolei
Die nächsten Nachbarn viele Kilometer entfernt
Unser Flieger landet in Moskau. Mit unserem Gepäck und den Rädern, die den Flug glücklicherweise ohne Schaden überstanden haben, müssen wir durch etliche Sicherheits- und Passkontrollen. Freundlich blickend und mit einem zaghaften „Sdrawstwujte“ oder „Priwet“ trete ich dem doch sehr autoritär wirkenden Sicherheitspersonal entgegen. SPANNEND! Später finde ich heraus, dass es wohl in der Öffentlichkeit nicht unbedingt üblich ist, sich freundlich anzublicken, sondern vielmehr anonym, mimik- und gestenlos aneinander vorbei zu gehen. Im privaten Raum dagegen zeigt man sich sehr herzlich und die Erfahrung machen wir direkt, als wir bei unserem Host Mischa ankommen. Ivan, der Dritte in unserem Radeltruppbunde, ist auch schon da. In Mischas kleiner Wohnung sitzen wir bis spät in der Nacht zusammen. Ich esse hungrig meinen ersten Teller Fleisch (ich hab schon damit gerechnet) und Mischa erzählt von seiner Arbeit an der Universitiy of Science. Am nächsten Tag nimmt er uns mit zu seinem Labor, ein alter Flug-Hangar auf skurril wildem Gelände. Alles wirkt sehr improvisiert und Mischas Freude uns alles zeigen zu können schwappt genau so über wie das Experiment Milcheis aus Nitrogen für uns zu produzieren. Wir werden Zeugen verschiedenster eindrücklicher Explosionen und wundersamer Brodelei. Am Abend brechen wir dann auf zum Bahnhof. Einmal quer durch Moskau mit dem Rad sind wir dann doch ziehmlich spät dran. Mischa und sein siebenjähriger Sohn begleiten uns die 20 Kilometer bis zum Bahnhof und uns bleibt keine Sehenswürdigkeit erspart. Einfach einsteigen in die Transsib? Nene, so einfach ist das nicht. Ivan und Mischa diskutieren lange und beharrlich mit dem Zugpersonal. Eine Minute vor Abfahrt heißt es dann überraschend unkompliziert vom Zugführer der hinzugezogen wurde: Räder auseinander bauen, rein damit, Hauptsache schnell.
Hungrig, völlig platt, Gepäck und Räder irgendwie über die Betten geschnallt, sitzen wir dann da, essen bulgarische selbstgemachte Leckereien die Ivan von seiner Mama eingepackt bekommen hat, trinken Wacholderschnaps während der Zug langsam aus Moskau rausklappert in die unglaubliche Weite Russlands. In den nächsten Tagen sehen wir vor allem Birkenwälder und kleine schnuckelige Holzhütten mit bunten Fenstern. Manche sehr ärmlich heruntergekommen, andere herausgeputzt mit gutgepflegtem Gemüsegarten. Es ist sehr eindrücklich für mich, dass man 4-5 Tage mit dem Zug fahren kann ohne dass sich die Landschaft verändert. Russland ist einfach unwirklich groß! Tja und dann passiert es, dass ich mitten in Russland um ein Haar den Zug verlassen muss weil meine Passnummer nicht mit der im Zugticket übereinstimmt. Nur schwer ist das Zugpersonal davon zu überzeugen, dass ich bleiben darf. Puh, das war knapp. Ein riesengroßes HOCH auf Ivans Russischkenntnisse! Während wir so tuckern spricht uns ein Mann an, fragt ob wir aus Deutschland wären. Ganz gerührt erzählt er, dass sein Opa Deutscher war und schon früh nach Russland ausgewandert ist. Wir seien die ersten Deutschen die er in seinem Leben trifft und spricht. Er ist ganz interessiert daran welche Autos wir besitzen und wie viele Zylinder verbaut sind. Später kommt er nochmal zu unseren Plätzen, die Hände voll mit Süßigkeiten für uns bedankt er sich für die Begegnung. Russen mit deutschen Vorfahren treffen wir während unserer Reise im Altaigebirge noch öfter und immer ist die Freude groß 🙂
Die Zeitverschiebung und die Tatsache dass man im Zug kaum Bewegung hat, eigentlich nur schläft, liest und isst, versetzt uns in einen merkwürdigen Zustand. Wir sind unheimlich froh als wir dann in Ulan Ude aussteigen, frische Nachtluft atmen und endlich angekommen sind in Asien.
Es folgt dann nochmal eine zwölfstündige Busfahrt nach Ulan Batoor in die Mongolei, ein paar Tage Aufenthalt dort um die letzten Vorkehrungen zu treffen, meinen Geburtstag zu feiern, unser Visa zu verlängern und zufällig in der Immigrationsbehörde andere Reisende zu treffen. Ein Österreicher der mit dem Pferd durch die Mongolei reiten will und ein Australier, der ebenfalls mit dem Fahrrad in die selbe Richtung wie wir aufzubrechen plant. Nach einem feucht-fröhlichen Abend beschließen wir zu viert aufzubrechen in die mongolische Steppe….
Endlich auf dem Fahrrad freuen wir uns über den Wind, der entgegen unserer Erwartungen von hinten kommt. Zwei Tage lang, dann dreht er und bläst uns mit solch einer Macht entgegen, dass wir am Ende des Tages völlig erschöpft mit nur 25 km auf dem Tacho, im Zelt liegen und es kaum kaum fassen können. Die Straßen sind teils geteert, größtenteils aber offroad, dazu sehr sandig, was die Sache sehr erschwert. Manchmal ist es uns einfach nicht möglich zu fahren und wir schieben unsere schweren Packesel durch die Wüste. Stets voll bepackt mit Essen und Wasser für die nächsten 3-4 Tage. Die Distanzen von Ort zu Ort sind für uns Europäer doch ungewohnt. Die Mongolei ist so riesig und hat dabei nur 3 Millionen Einwohner. Dafür aber, wie uns ein Hirte erzählt 72 mio. Tiere. Schafe, Ziegen, Kamele, Yaks, Pferde und Kühe begegnen uns noch und nöcher. Oft kreisen Adler über uns die wir staunend bei ihrem Flug beobachten. Wenn wir abends unseren Campspot erreicht haben, erhalten wir oft Besuch von neugierigen Hirten die auf ihrem Pferd oder alternativ dem japanischen Motorrädle angerauscht kommen. Neugierig begutachten sie unser Material, die Räder, wie wir das Zelt aufbauen und probieren interessiert unser zubereitetes Abendmahl. Irgendwann ziehen sie dann wortlos davon. Verabschiedungen sind wohl nicht gang und gäbe wie bei uns. Überhaupt ist es voll spannend wie Sitten, Bräuche, Höflichkeitsformen und all dieser Kram so unterschiedlich sein können….
Wenn wir eingeladen sind zum Essen, Schlafen, Chai oder vergorene Pferdemilch trinken in einer Jurte, werden wir immerzu gefragt ob wir verheiratet sind, Kinder haben, wie alt wir sind, ob wir Eltern haben, wie viel Geschwister, usw.. Familie spielt eine große Rolle und es ist wahnsinnig spannend zu erleben wie hier gelebt wird, ohne fließend Wasser, die ganze Familie unter einem Jurtendach. Schlafen, Essen, Gäste haben. Neben dem mittig stehenden Ofen ein großer Korb voll trockener Rinderkacke zum Feuern. Klar, Holz und Bäume sucht man hier vergeblich. Die nächsten Nachbarn sind viele Kilometer entfernt….
Wenn wir asphaltierte Wegstrecken haben freuen wir uns wie die Schneekönige, und wenn der Wind dazu mal nur halb so dolle bläst, dann fühlt es sich an als wäre man motorisiert und sitze auf einem E-bike. Wenn wir eine Stadt erreichen, gehen wir am liebsten auf dem Markt einkaufen. Ein eng zusammengewurschteltes Areal aus Containern und Bruchbuden aus denen verkauft wird. Querbeet. Was immer man irgendwie brauchen kann. Von Baumaterial über Kleidung, Süßkram ohne Ende und natürlich Fleisch, in rauen Mengen, von Kuh, Kamel, Ziege, Schaf und Pferd. Damit man auch weiß welches Fleisch man kauft, liegt am Tischboden der jeweilige abgetrennte Kopf des Tieres. Mmmmh!
Wenn uns nachts die Ziegenbabys besuchen und es sich in unserem Vorzelt gemütlich machen, wenn die Landschaft, die unglaubliche Weite uns staunen und so klein erscheinen lässt, wenn wir am kuscheligen Ofen in der Jurte sitzen, mit Händen und Füßen kommunizierend, wenn wir abends mit den wenigen Mitteln ein leckeres Mahl zaubern und mit einem Schluck bulgarischem Rakija den Tag feiern, wenn wir uns durch Sand und Schotter schleppen, dem Gegenwind den Kampf ansagen, wenn die Musik die aus den Kopfhörern schallt das Erleben und Vorbeirauschen der unfassbar kargen und schönen Landschaft nochmal intensiver und emotionaler erscheinen lässt, wenn wir beim Jurte nähen und aufbauen helfen dürfen, wenn wir nach vielen trockenen Kilometern und Tagen einen Flusslauf zum Waschen, Abkühlen und Wasser filtern auffinden können, ihn womöglich mit Sack und Pack überqueren müssen, weil der Weg da halt weiter geht, wir einen Ziegenstall entdecken, der uns vor dem Sandsturm schützt, dann bin ich so glücklich unterwegs zu sein und all das zu erleben. Leicht macht es uns die Mongolei nicht, aber ich liebe jeden einzelnen Kampf den wir kämpfen auf unseren Rädern. Umso schöner die genussvollen Momente. Jeder Tag ein Abenteuer, jeder Tag anders, jeder Tag voller Überraschungen und Erlebnisse.
Im Altaigebirge angekommen, kurz vor der russischen Grenze, geht es mir jedenfalls nach wie vor sehr gut. Ich freue mich über das was war, was nun im russischen Altai, in Sibirien kommen wird, über meine tolle kleine Reisegruppe, über das was ich zu Hause in Freiburg habe und mich die ganze Zeit irgendwie mit begleitet in Gedanken und im Herzen…