Rumänien

ein Traumrevier für Schatzsucher

Als Alex seinen Eltern erzählte, dass er den Hof verlassen und zum studieren nach Brasov ziehen wird, da haben Sandu und Viorica beschlossen nochmal ein Kind zu bekommen. Es wurden Zwillinge! David und Gabriel sind mittlerweile 6 Jahre alt. Während ihre Eltern von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang den Hof schmeißen, trinken die Jungs heimlich das Wasser aus der Kuhtränke, jagen kichernd dem quitschenden Schwein hinterher oder klettern das Gebälg hinauf um nach den Schwalbennestern im Stall zu sehen. Der Hof der Familie Husariu, bei denen wir zwei intensiv schöne Tage verbringen, liegt mitten in den Karpaten. Die große Gastfreundschaft der Familie verbietet es uns mit anzupacken. Erst nachdem wir mehrfach beteuern dass es uns wirklich ein Freude wäre, willigen sie schmunzelnd ein. Ausgestattet mit Mistgabeln und Rächen ziehen wir zum Heuen aufs Feld, tragen das trockene Heu zusammen um es dann zur weiteren Trocknung und Lagerung auf ein Holzgestell zu wuchten. Dann heißt es die Kühe zum Melken in den Stall zu treiben. Während ich mit Mühe und Not die Ein oder Anderen Tropfen Milch ernte, schießt sie bei Vioricas Rhytmus und Geschick nur so aus den Zitzen. Was für ein schöner Anblick die schaumig frische Milch im Eimer doch ist. Wie weißes Gold! Zum Abendessen gibt es Mamaliga (Polenta, rumänisches Nationalgericht) mit eigenem Käse und natürlich einer Tasse vollster Vollmilch. Deftig, einfach und saulecker!

Die Kinder schlafen bereits, draußen ist es dunkel und kühl als wir in der beheizten Küche vorm zu Bett gehen noch dabei zusehen wie Viorica die frische Milch zum Käse verarbeitet und schließlich über Nacht zum Aus-tropfen in einem Tuch an die Wand hängt. Ich staune sehr über die Zufriedenheit und Kraft die sie trotz aller Erschöpfung dabei ausstrahlt. Ein tolle Frau!

Ich hatte es mir in den Karpaten einsamer vorgestellt. Doch die Einsamkeit liegt jenseits der befahrbaren Straßen. Wo Asphalt ist stehen die Häuser oder werden welche gebaut. Finanziert von dem Geld welches in Holland, Deutschland oder England bei der Saisonarbeit verdient wird. Ich finde es wirklich erstaunlich, wie unfassbar viele junge Männer im Ausland arbeiten und im Grunde nur 2 Monate im Jahr bei ihren Familien in Rumänien sind. Ein verrücktes Leben. Eine verrückte Welt und leider auch eine Kehrseite der Europäischen Union, der Entwicklung und Globalisierung. Eine ganze Generation verlässt das Land. Familien die sich über Jahrzehnte hinweg erfolgreich selbst versorgt haben fehlt der Nachwuchs um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, dass Wochenmärkte und kleine Lebensmittelgeschäfte mehr und mehr bedroht werden von großen, Einzug nehmenden Supermarktketten. Der einhergehende Müll, die Tüten von Lidl, Penny und Co, die zahlreichen Plastikflaschen, einfach jeglicher Verpackungsmüll findet sich wieder im Wasser und im Wurzelwerk eines jeden Flusses.
Es zieht uns schon bald hinter die Kulissen, dahin wo sich der Forstweg in ein steiles, ausgewaschenes Flussbett verwandelt, die Wälder dicht und die Bären zahlreich sind. Manchmal treffen wir auf Gypsie – Lager die die Saison zum Pfifferlinge sammeln in den Wäldern verbringen.
Auch wir werden fündig. Ich kann mein Glück jedes Mal kaum fassen wenn ich die orange-leuchtenden Leckerbissen schon vom Fahrrad aus erblicke. Es gibt soooo viel Davon und auch von den wilden Erd- und Blaubeeren. Ein Traumrevier für Schatzsucher wie mich :).

Oft fragen wir uns wie ernst wir die Warnung der Einheimischen nehmen sollten, uns vor den Bären in Acht zu nehmen. Die Population in den Karpaten sei stark angestiegen, sagen die Einen und Andere argumentieren dass der Lebensraum der Tiere einfach kleiner geworden ist. Zum Glück treffen wir, dank unser lauten Gesänge, auf keinen dieser haarigen Vierbeiner.

Ich liebe es wie die Rumänen, wann immer sie Zeit haben, auf dem schattigen Bänkchen vorm Haus sitzen, schauen wer vorbeizieht, freundlich grüßen, stricken, häkeln oder Beeren waschen. Alleine, mit Nachbarn oder mit der ganzen Familie.

Man hatte uns gewarnt vor Rumänien. Klar, die riesigen Schäferhunde auf den Pässen sind unheimlich und es kostet mich jedes Mal Überwindungskraft keine Furcht zu zeigen, laut und autoritär zu wirken wenn die aggressiv kläffenden Hunde ihre Herden vor uns beschützen als hätten wir böse Absichten.
Auch weist man uns oft darauf hin bloß gut auf unsere Räder aufzupassen. Pali und Panika, bei denen wir 3 Tage zu Gast sind, meinen schmunzelnd „Die besten Räder die man in Rumänien kaufen kann sind die die zuvor in Deutschland geklaut wurden“.
Irgendwie fühlen wir uns aber nie unsicher. Im Gegenteil, wiedermal zeigt sich uns ein Land von seiner sehr sehr herzlichen Seite.

Surin, ein Zahnarzt in Bukarest der kurz vor der Insolvenz steht, erklärt uns dass die Menschen an einen so genannten „Zehnten Teil“ glauben. Neun Teile brauchen sie selbst fürs Leben aber mit dem Zehnten, in welcher Form, Gabe oder Hilfestellung auch immer, damit versuchen etwas Gutes zu tun. Surin überlässt uns drei Tage seine Airbnb Wohnung ohne dass wir bezahlen. Jeden Monat 3 Tage freier Aufenthalt für Radreisende – Das ist sein „Zehnter Teil“.

Als wir schließlich an der Donau ankommen ist das schwarze Meer nicht mehr weit. Mehr oder weniger entlang des mächtigen Flusses radeln wir durch die Steppe der Walachei und landen bei Georges Biobauernhof. Wir sind eingeladen zu bleiben und ein wenig mitzuhelfen. Es ist eine große Überraschung für uns, dass plötzlich knapp 30 Radreisende ebenfalls auf der Matte stehen. Eine aus den verschiedensten Nationalitäten zusammengewürfelte Gruppe die sich „Greenriders“ nennt, gemeinsam vom französischen Atlantik bis ans Schwarze Meer in Rumänien radelt und zwischendurch immer mal wieder bei ökologischer Landwirtschaft mit hilft. Zahlreiche helfende Hände also die in diesen Tagen bei George die Zwiebeln sortieren, den Gemüsegarten pflegen, den Müll im Ort sammeln und in großen Mengen Schnaps brennen. Die Weiterreise und Ankunft am Schwarzen Meer in Konstanza, zusammen mit dem quirligen- bunten Greenridershaufen ist uns eine Freude. Es fühlt sich an wie ein Geschenk, nach mehreren Tausend schwitzig- heißen Kilometern endlich im Meer zu baden!

Vorbei an Touristenhochburgen die für mich den reinen Wahnsinn verkörpern aber auch vorbei an super schönen und wilden Küstenabschnitten kommen wir schließlich nach Bulgarien. Die letzten Kilometer vor Ivans Zuhause in der Küstenstadt Warna fühlen sich total kribbelig an. Wiedermal erreichen wir einen Meilenstein unserer Reise. Ein besonderes Wiedersehen mit unserem lieben Freund und ehemaligen Reisegefährten Ivan und mit Bulgarien auch das Ende unserer Tour durch Osteuropa. Es waren erlebnis- und begegnungsreiche Kilometer durch das Baltikum, Polen, Weißrussland, die Ukraine, Rumänien und Bulgarien. All diese Länder haben für mich ein Gesicht bekommen. Es ist einfach herrlich wie nah, intensiv und authentisch man ein Land kennenlernt wenn man es mit dem Rad durchquert!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert