Aus Nordirland und Irland

ganz verschiedenes...

Heißt es nun Derry oder Londonderry fragen wir unsicher nach als wir in der nordirischen Stadt ankommen, die bis vor 10 Jahren noch an den Auseinandersetzungen des Nordirlandkonflikts litt.
Während wir so durch die Straßen schlendern, stoßen wir auf etliche Narben der Vergangenheit und tatsächlich sieht und spürt man, dass die ideologischen und politischen Fronten die Stadt bis heute noch teilt.
Als wir einen Tag später beeindruckt und von den Eindrücken ein wenig aufgewühlt die Stadt verlassen, kommen wir mit Lobsang, einem buddhistischen Mönch, ins Gespräch der mich anspricht nachdem ich etwas abenteuerlich die Straßen überquert hatte. „Ganz die irische Art!“, kommentiert er meine Vorgehensweise fröhlich. Die Iren seien Rebellen – „in a good way“, erklärt er uns und dass wir ausgestattet mit unserem scheinbar guten Karma eine wunderbare Zeit haben werden in Irland . Mit seiner Hündin ‚Harmony‘ zieht er weiter und wir, durch die Begegnung deutlich harmonischer gestimmt, rollen gespannt auf das was kommen mag heraus aus Derry/ Londonderry, der gespaltenen Stadt.

Schnell stellen wir fest dass wir in Irland mit anderem Schwerpunkt reisen. Üblicherweise suchen wir Berge, Wildnis und Wege jenseits der normalen Verkehrsrouten auf, was sich hier allerdings als schwierig erweist da nahezu jegliches Land umzäunt und in privatem Besitz zu sein scheint. Uns zieht es ins Inland da es an der Küstenstraße, dem Wild-Atlantic-Way nur so an Touristenbussen und Verkehr wimmelt. So rollen wir auf engen Singleroads die Hügel rauf und runter. Es sind die Menschen die es für uns spannend machen. Fast jede Nacht verbringen wir unter irischem Dach, sind zu Gast bei den unterschiedlichsten Charakteren….

JENNY, Nordirland
ist Historikerin und Dichterin mittleren Alters, lebt in ihrem Elternhaus und lädt uns ein in einem ihrer Gästezimmer zu übernachten. Manchmal täte es mir gut mehr in Gesellschaft zu sein – meint sie, als sie auf ihrem Ohrensessel sitzt der leicht zur Seite geneigt, den Blick durch das große Fenster in den wilden Garten erlaubt. Der Sessel in dem die Verse entstehen, wo sie sich in Reimen und Spielereien verliert.
Die Gardinen, Möbel und Tapeten an der Wand – All das wohnt schon lange in diesem Haus. Leicht klebrig erinnert mich das Geschirr an die Küche sehr alter Menschen.
Jenny zeigt uns schwarz-weiß Bilder aus dem Leben ihrer Verwandtschaft und Vorfahren. Ein Bild von ihr ist nicht dabei. Ob es daran liegt dass sie in einem männlichen Körper zur Welt gekommen ist?
Wir erfahren viel über die Geschichte Irlands. Von der Kartoffelfäule im neunzehnten Jahrhundert, der daraus resultierenden großen Hungersnot und der Flucht vieler Iren nach Nordamerika. Über den Einfluss englischer Landlords in der Vergangenheit und wie es kommt dass heutzutage  privates Land und ein eigenes Haus das Bestreben vieler Iren ist.
Als sie uns auf Anfragen ein paar ihrer Gedichte vorträgt leuchten ihre Augen. Es ist einfach immer schön zu sehen wenn Menschen eine Leidenschaft haben!

CORIN, Nordirland
lebt auf einen ehemaligen Truthahn – Fabrikgelände, das fast ausnahmslos aus zerstörten Industriehallen besteht und die Größe von etwa 5 Fußballfeldern besitzt. Corin ist Holzkunsthandwerker und gerade dabei sich aus einem kleinen Gebäude ein Wohnhaus zu errichten. Die selbst gezimmerte Eingangstür und die in alten Fabrikgegenständen gepflanzten Blumen, Bäume und Gemüsesorten weisen darauf hin, dass auf diesem heruntergekommenen, ja fast schon gruseligen Truthahnschlachtgelände etwas sehr schönes und lebendiges entsteht. In einem Leben nicht zu bewältigen, so unendlich kommen uns die Aufgaben die das Gelände stellt vor. Aber Corin macht das nichts. Er, 34 Jahre alt und leidenschaftlicher Wassersportler, ist vor einem Jahr mit 5 Hühnern dorthin gezogen und hat viele Visionen. So soll irgendwann ein Hostel entstehen und ein riesiger Garten angelegt um sich und andere selbst zu versorgen. Als Dank dass wir zwei Tage bleiben können bis der Himmel sich ausgeregnet hat, packen wir tagsüber mit an und bereiten abends schwäbische Kässpätzle zu.

JOHN, Irland
Wir sitzen in einem Cafe um unsere Handys aufzuladen als uns John anspricht. Mit seiner tief heruntergezogenen Cappi, den gelben Raucherfingern und dem schmuddelig wirkenden Bart bin ich erst mal skeptisch. Er stellt sich uns nicht vor, meint aber dass er bei ‚Warmshowers‘ sei und wir gerne bei ihm übernachten können. Etwas überrumpelt nehme wir die Einladung an und finden uns eine Stunde später in seinem Zuhause wieder. Ein riesiges Haus, welches dabei ist sich vom wuchernden Garten auffressen zu lassen. Kaum sind wir da verändert sich Johns Blick, Mimik und Sprache. Er wirkt offener, herzlicher und entspannt. Durchs Haus, an einer riesig und brachliegenden Swimmingpoolanlage vorbei, werden wir zum Gästezimmer geführt. Alles wirkt ein wenig feuchtelig und chaotisch. Die Fenster sind so zugewachsen vom Wuchergarten dass ein Blick nach draußen unmöglich ist. Behelfsmäßig versuche ich uns einen gemütlich-sauberen Schlafsplatz einzurichten bevor wir dann den Rest des Abends mit John in der Küche verbringen. Bis tief in die Nacht sitzen wir zusammen. Irgendwie haben wir uns viel zu erzählen, denn John entpuppt sich als neugieriger und vielseitig interessierter Mann. Wir tauchen ein in die Welt des Fermentiertens, probieren uns durch bestimmt zehn verschiedene Fermentfässer die John selbst angesetzt hat. Geschmacklich ist alles dabei, von Nasser- Hund bis fruchtig-saurer Hagebutte.

NICK, AGNES, SCOLA und IVY, Irland
Ein englisch-deutsch-kenianisches Triple – so stellt sich die Familie bei Couchsurfing vor.
Meine liebe Luzi kommt uns für ein paar Tage in Irland besuchen und das ‚Triple‘ nimmt uns alle Drei für 2 Nächte in ihrem Haus auf. Kaum sind wir dort, prasseln die Eindrücke nur so auf uns herab. Das Haus ist voller Computer und elektronischer Projekte. Es ist Nick, Vater von Ivy und weiteren 4 Kindern, der sich hier in schier unendlichem Ausmaß irgendwelchen Spielereien hingibt. Nick arbeitet von zu Hause aus. Er kümmert sich um die Pflege und Überwachung eines riesigen Investmentbank- Servers und zieht sich immer wieder aus dem Geschehen in seine Computerwelt zurück. Die fröhlich-offenherzige Scola, der kenianische Part des ‚Triples‘ und wie sich herausstellt nicht die Adoptivtochter sondern die Frau von Nick, zaubert in der Küche ein afrikanisches Buffet während die siebenjährige Ivy mit allen Mitteln um unsere Aufmerksamkeit ringt. Ivys Mutter Agnes kommt erst am Abend nach Hause. Während wir von Allen im Haus herzlich Willkommen geheißen werden, so tun wir es von Agnes nicht. So fühlt es sich jedenfalls an. Aber da wir nun mal da sind spannt sie uns in den Haushalt und in die Betreuung ihrer Tochter ein. Beides auf eine Weise die an Grenzüberschreitung grenzt. Wir lernen wie man eine Küche penibel Bakterien-Frei bekommt, auf welche Weise wir die Steine und Regenwürmer aus der Gartenerde heraus sortieren sollen und vieles mehr. Beim zu Bett gehen liegen Luzi, Chris und Ich noch lange wach, reden, versuchen zu verstehen wie dieses besondere Familiensystem hier funktioniert. Wer mit Wem verpartnert oder verheiratet ist und vor allem Warum. Wer hier welche Eigenheiten und Rollen einnimmt und wie es wohl dazu kommt. Manches ist für uns so absurd dass wir es einfach dick und fett mit Humor versehen. Eines ist jedenfalls klar: Wir werden uns von diesem Erlebnis noch lange erzählen. Darüber lachen, schmunzeln und froh sein dass wir ein gewöhnlicheres Leben haben.

ROB und MAIREAD, Irland
wohnen in einem individuell renovierten Cottage. Den Strom den sie brauchen produzieren sie selbst durch Solar- und Wasserkraft. Ein riesiger Gemüsegarten, ein Gewächshaus und zahlreiche Obstbäume sorgen für deren Verpflegung und die eigenen Hühner liefern jeden Tag 4 Eier. Das Wasser beziehen sie aus der hauseigenen Quelle und schmeckt einfach wunderbar. Rob und Mairead sind voller Lebenslust, leben nahezu selbst versorgt in ihrem farbenfrohen Zuhause und engagieren sich in mehreren Umweltschutzprojekten. Bei einem dieser Projekte, dem ehrenamtlichen Bau eines 80 Kilometer langen Fahrradweges, dürfen wir beim Community-Picknick dabei sein. Als Reiseradler sind wir dort natürlich gern gesehene Gäste und werden prompt mit einer grünen Politikerin für Wahlkampfzwecke gemeinsam abgelichtet. Nach drei Tagen Aufenthalt im Selbstversorger-Paradies sind meine Taschen gestopft voll mit Inspirationen und großer Lust auf ein ähnliches Zuhause.

Es sind nur ein paar Ausschnitte, unterschiedlichste Einblicke in die Welt mancher Menschen die uns in diesem Fall durch unsere Reise in Irland begleitet haben. Diese und noch einige mehr schenkten uns unkonventionelle Lebenszeit indem sie uns oft spontan aufgenommen haben, Vertrauen indem sie uns fremden Gästen einen so persönlichen Einblick in ihr Leben gewährten und Fürsorge indem sie uns meistens eine warme Mahlzeit und ein Bett zur Verfügung stellten. Ich freu mich schon sehr wenn auch mein Heim mal zur Gaststube für Reisende wird!

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