Lappland Herbst

von Wildwasser und Käsekuchen

Es ist Anfang September, wir sind im norwegischen Kirkenes am arktischen Ozean!

Vor genau einem Jahr sind wir beide mit unseren Rädern im hektischen Lima gelandet. Der Unterschied könnte kaum größer sein. Die Gassen der Stadt kurz vor der Grenze zu Russland wirken wie ausgestorben. In Kirkenes haben wir während unserer Wintertour schon mal Station gemacht. Damals war alles schneebedeckt, heute leuchtet die Tundra in den gelb-rötlichen Farben des „Ruska“ Herbstes.

Vorbei am Inari-See pedalieren wir Richtung Finnland. Im Winter haben wir bei -30 Grad auf dem zugefrorenen gezeltet, diesmal werfen wir unsere Angeln in den sechstgrößten See Europas. Das Anglerglück bleibt aus, anstattdessen brutzeln wir Birkenpilze die wir am Wegesrand gesammelt haben. Unsere Outdoor Küche ist in diesem Jahr auf eine opulente Lagerfeuerküche eingestellt. Dafür schleppen wir zum ersten Mal einen mords-schweren Dutch Oven, eine Art Backofentopf, mit. Darin bereiten wir über dem Lagerfeuer Brot, Pizza, Eintöpfe und sogar Käsekuchen mit Preiselbeeren zu. Camping wird so fast zu einer kulinarischen Offenbarung!  

In Ivalo haben wir uns in den Kopf gesetzt das Rad ausnahmsweise mal gegen ein Kanu zu tauschen. Unser Ziel ist der Ivalojoki Wildwasserfluß – 100km absolute Wildniss, kein Handyempfang, unterbrochen nur von einer einzigen Brücke – also genau nach unserem Geschmack! Eine Woche wollen wir unterwegs sein. Kanu gefahren, geschweigen denn im Wildwasser bin ich allerdings noch nie. Matthias war zumindest schon mal auf einem harmlosen See unterwegs. Das wir für unsere Kanu Permiere einen Fluss mit zirka 40 Stromschnellen wählen, der über weite Strecken über keinen Straßenzugang verfügt, sollte sich als recht naiv herausstellen.

Ich spüre einen Privatmann auf der uns sein Kanu leiht und uns zur Einsetzstelle mitten im Nichts taxiert. Im Vergleich zu kommerziellen Vermietern sparen wir ein kleines Vermögen. Im Halbdunkeln erreichen wir mit Janne unser Ziel. Der Wasserstand des Flusses ist extrem flach und unser Boot scheint zudem überladen zu sein. Skeptisch blicken wir Janne an. Der Anfang ist etwas steinig , aber „everything is possible“ sind seine letzten Worte – finnische Gelassenheit!

 

m nächsten Tag wird uns aber schnell klar, dass hier einiges schief läuft. Der harte Fiberglasboden schrammt mehr über die Steine als das er schwimmt. Schon kleinste Stromschnellen werden zur Wackelpartie. Der Bootsrumpf ist bereits nach dem ersten Tag in einem erbärmlichen Zustand, die ersten Löcher nur eine Frage der Zeit. Was soll bloß passieren wenn die großen Stromschnellen kommen? Wir sind ratlos – ist es unsere mangelnde Erfahrung beim Lesen des Flusses, die schwere Beladung, das Flachwasser oder der schmale kipplige Fiberglas Kanadier? Oder alles zusammen? Aber die nächste Straße ist 60km stromabwärts enfernt, wir haben nur die eine Option – Fahren!

Als die erste größere, ca 800m lange, und schnelle Stromschnelle kommt ,haben wir keine Chance! Irgendwo in der Mitte prallen wir mit zuviel Wucht gegen einen Unterwasserfelsen. Das Boot dreht sich, der Wasserdruck wird zu stark und wir kippen ins eisige Wasser! Es ist wie die im Internet grasierende „Ice Bucket Challenge“, nur unter verschärften Bedinungen. Die wasserdichten Radtaschen, allesamt miteinander verschnürt, konnten wir mangels Halte-Ösen nicht am Boot fixieren. Was für ein dummer Anfängerfehler! Leichte Panik bricht aus als unsere komplette Ausrüstung in einem Affenzahn stromabwärts davon schwimmt. Und ein Hochgefühl als wir alles, bis auf das Ersatzpaddel, später wiederfinden!

Was uns hier noch nicht hundertprozentig klar ist, wird nach der nächsten Stromschnelle offensichtlich. Wir kentern erneut und müssen uns eingestehen, dass es für uns fahrend nicht weiter geht. Am dritten Tag umtragen oder treideln wir das Boot. Das Gelände wird immer unwegsamer, alles dauert ewig lange. Wir schaffen nur knapp 4km! In dem Tempo brauchen wir noch rund 12 Tage – das Essen muss ab sofort gut portioniert werden! 

Aber soweit kommt es nicht. Das Glück das wir bisher so oft in solchen Situationen hatten lässt uns auch dieses Mal nicht im Stich. 3 Kanus, gesteuert von Mitgliedern eines finnischen Kanuclubs, überholen uns. Sie zögern keine Sekunde uns zu helfen!

Anssi, der Erfahrenste unter ihnen, begutachtet unser Kanu und schüttelt mit dem Kopf. In 30 Jahren habe er niemanden gesehen, der mit einem solchen Boot einen Wildwasserfluß befährt. Hartes Fieberglas, dazu noch zu schmal, zu flach und überladen. Das Gepäck von unserem Boot wird in die breitbäuchigen, flexiblen Kunstoffkanus umgeladen. Anssi wechselt mit Matthias das Boot und übernimmt das Steuer unserer Nussschale. Anssi’s Ehrgeiz ist geweckt! Er verischert mir mehrfach begeistert, wie froh er ist uns getroffen zu haben und dass diese „Rettungsaktion“ das Aufregenste ihrer Tour sei!

Für Anssi beginnt das Abentuer, für mich der Spaß am Wildwasser. Mit dem unbeladenen Boot beginnen die Stromschnellen richtig Spaß zu machen, ich fasse tatsächlich Vertrauen in das Boot! Allerdings ist auch der erfahrene Anssi kein Hexer, die unsichtbaren Steine unter Wasser bleiben für das Boot eine große Gefahr. Wir kentern, aber immerhin nur noch einmal auf der gesamten restlichen Strecke!

Mit reichlich Unbehagen präsentieren wir Janne in Ivalo sein sichtlich ramponiertes Boot. Aber Janne ist nur heilfroh das wir wieder da sind. Zuhause ist ihm die Schwierigkeit unseres Unterfanges bewusst geworden. Das Boot kann man ja reparieren, sagt er.

Und da ist sie dann wieder, die finnische Gelassenheit! 

Zurück auf den „Räderwerk“ Bikes sind wir wieder mehr in unserem Element. Die Sehenswürdigkeiten auf den nächsten 1000 Kilometern sind schnell zusammengefasst: Kiefern, Birken, Moose, Wasser, Berge. Vorbei am Nationalpark Lemmenjoki und entlang der finnisch-schwedischen Grenze gelangen wir erneut nach Norwegen.

Die Nächte werden nun länger, dunkler und bis zu minus 5 Grad kalt. Es beginnt die Zeit der Nordlichter – der Aurora Borealis! Fortan hocken wir oft bis zum Morgengrauen am Feuer, um das gigantische Lichtspektakel zu erleben. Im Höhepunkt werden wir Zeuge eines Sonnensturmes der Kategorie 5. Die Sonne schleudert in dieser Nacht elekromagnetische Teilchen in besonderer Stärke zur Erde. Über viele Stunden tanzen intensive grüne, rote und violette Schleier über die Sternenleinwand. Es ist das Zauber dieses Naturschauspiels, dass mich immer wieder zur „kalten“ Jahreszeit über den Polarkreis führt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert