Japan
auf Kaffeefahrt mit den Bären
Meine letzten Radelkilometer in Indien nehme ich in Delhi auf dem Weg zum Flughafen unter die Räder. Eine total verrückte Stadt zum Radfahren. Chaos pur! Nach einem 24 Stunden Stop Over in Kuala Lumpur komme ich nachts um 1 Uhr in der größten Metropolregion der Welt an, Tokio – Yokohama!
Auf 13.556 Quadratkilometern leben hier nahezu 38 Millionen Menschen. Da Japan aufgrund der hohen Kosten zu den Ländern gehört in denen ich auf bezahlte Übernachtungen komplett verzichten werde stellt sich unmittelbar nach der Ankunft die Frage des Schlafplatzes.
Ich entscheide mich für eine Bank in einem kleinen Park. Gleich am ersten Tag mache ich die Erfahrung die für die kommende Zeit prägend sein wird. Japan ist unfassbar sicher und keiner, auch nicht die Polizei, stört sich daran wenn ich irgendwo entlang der Straße schlafe. Meine Zeit in den Megacity Japans wird daher auch für mich unkonventionell und irgendwie aufregend neu. Ich fahre meist bis tief in die Nacht und kaufe erst kurz vor Ladenschluß ein. Dann werden viele frische Nahrungsmittel, insbesondere natürlich das Sashimi ,mit hohen Preisnachlässen abverkauft.
Gekocht wird dann ganz romantisch auf dem Parkplatz. Danach suche ich mir im Schutz der Dunkelheit einen Schlafplatz irgendwo in der Stadt. Ich schlafe auf Bänken, in öffentlichen Gebäuden, auf Parkplätzen, in Sportanlagen, Tempelanlagen oder am Straßenrand. Nur Morgens ernte ich ab und zu verwunderte Blicke aber stören tut mich nie jemand.
Eines Nachts regnet es so stark, dass ich mich in eine Tiefgarage verziehe. Als ich gerade mein „Bett“ fertig habe geht auf einmal die komplette Beleuchtung an. Ich denke schon, dass ich nun ein Problem bekomme, aber kurze Zeit später ist wieder alles dunkel. Der Nachtwächter hat wohl gesehen, dass sie hier nur ein müder Reiseradler zum schlafen gelegt hat.
In Tokio habe ich aber auch wieder einige Einladungen. Ich wohne ein paar Tage bei Tomo, den ich im Flugzeug kennengerlernt habe. Er wohnt in Rappongi Hills, einer der teuersten Wohngegenden. Ein völliger Kontrast zu meinen sonstigen, etwas trostlosen Ruhestätten auf Parkplätzen und – bänken. Royce Rolls, Bentley, Ferrari und mein Reiserad. Das passt gut zusammen!
Yuseke, ein Student der weitaußerhalb wohnt, hilft mir meinen Laptop wieder funktionstüchtig zubekommen. Das Gerät wurde in Indien 2 mal auf Garantie repariert –ohne Verbesserung. Das Display flackert immer noch und so dürfen sich nun die japanischen Techniker versuchen. 1 Woche ist das Gerät im Service, kommt dann aber runderneuert und voll funktionsfähig wieder an. Die Garantieabwicklung über die Hotline hätte ich alleine, ohne Yuseke, nie geschafft. Man glaubt es kaum, aber in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt spricht kaum jemand englisch.
Von Tokio geht es zunächst am Mt Fuji vorbei in die japanischen Alpen. Von dort geht es jedoch nach Norden! Je weiter ich nach Norden komme, desto geringer wird die Bevölkerungsdichte. Und es kommen echte Naturhighlights- heiße Quellen!
Heiße Bäder, in Japan Onsen genannt, gibt es dank der vulkanischen Aktivität im ganzen Land. Meist sind es von Menschen angelegte Anlagen die ein paar Euro Eintritt kosten.
Es gibt aber auch einige wenige wilde, natürliche heiße Quellen. Genau diese suche ich! Oft liegen diese weit abseits. Zu einer muss ich über 600 Höhenmeter eine Einbahnstraße hoch pedalieren und danach noch eine kleine Wanderung machen.
Aber die Mühe lohnt. Es sind mehrere 40 Grad heiße Wasserfälle die sich in kleine Pools ergießen. Das Wasser ist glasklar und ich bin den Tag über alleine hier. Ein nahezu magischer Ort aus einer anderen Welt.
Eines Tages erreiche ich ein weiteres großes Thermalgebiet. Es ist ein interessanter Ort. Überall kocht und zischt es. Unüblich ist jedoch, dass viele Menschen hier verstreut auf den Steinen liegen. Diese sind warm, teilweise so heiß, dass man sich barfuß verbrennen würde.
Zu meiner Verwunderung spricht mich jemand auf Englisch an. Ken ist seit Tagen der Erste den ich treffe der englisch spricht. Ich genieße es mal wieder Konversation zu betreiben. Japan ist aufgrund der Sprachbarriere leider auch ein einsames Land für mich. Er erklärt mir, dass die Steine durch radioaktive Strahlung heilende Kräftehaben sollen. Die Kranken verbringen hier ihren Jahresurlaub und liegen den ganzen Tag auf den Steinen.
Nachts bleibt jedoch keiner hier da es aufgrund der Bärenpopulation gefährlich ist. In der Tat habe ich überall die Warnschilder gesehen. Ich kann es mir trotzdem kaum vorstellen. Ken sieht das wohl ähnlich. Er will hier schlafen und ich schließe mich ihm an. Wann kann man schon mal auf heißen ,radioaktiven Steinen nächtigen? „Wenn der Bär kommt kämpfen wir zusammen“ einigen wir uns. Der Bär kommt nicht, dafür aber Regen. Eingehüllt in meine Zeltplane wird es eine warme aber auch ungemütliche Nacht.
Wenig später verlasse ich die Hauptinsel Honshu und nehme die Fähre auf die Insel Hokkaido!
Die Insel ist wunderschön und hat vieles zu bieten. Tolle Strände, Wälder und natürlich auch wieder heiße Quellen.
Besonders schön sind die warmen Becken die direkt vor dem Meer liegen. Zur Flut sind sie vom Meerwasser überspült, aber bei Ebbe entsteht ein bis zu 40 Grad heißes Becken direkt vor dem Meer! Oft liege ich bei Ebbe die halbe Nacht im Pool und genieße das Dasein.
Ich bin recht spät im Jahr auf Hokkaido. Es ist oft regnerisch kalt. Allerdings ist auch die Herbstfärbung schon im vollem Gange. Das Farbenspiel der Wälder ist gigantisch schön
Die Menschen sind, wie überall in Japan, sehr freundlich. Es ist wirklich sehr schade, dass ich mit kaum jemanden sprechen kann. Hie roben auf Hokkaido sind die Menschen jedoch gelassener und nicht so gestresst.
In den großen Städten der Hauptinsel merkt man den Leuten schon an, dass die Arbeit den größten Teil des Lebensbestimmt und diktiert. Nicht umsonst gibt es in Japan ein eigenes Wort für den Tod durch zuviel Streß bei der Arbeit. Diese Todesursache heißt hier Karōshi.
Das Essen begeistert mich immer wieder. In Deutschland habe ich noch nie „Sushi“ gegessen, aber hier gönne ich mir es natürlich ab und zu. Das Angebot an frischen Meeresfrüchten und Fisch ist gewaltig. In kleinen Fischläden an den Küsten kaufen ich besonders gerne ein, auch wenn ich oft nicht weiß was ich da genau kaufe. Erklären kann es mir schließlich niemand. Nicht immer ist das Essen dann ein Vergnügen, aber sehr oft! Es ist einfach spannend lokale Lebensmittel auszuprobieren und auch ein Aspekt den ich am Reisen so liebe.
Ab und zu werde ich auch eingeladen. Unfassbar gutes Essen wird mir dann serviert!
Hokkaido ist neben dem vielen Schnee im Winter auch bekannt als die Milchhochburg Japans. Entlang einer der unzähligen Farmen überholt mich Yoshi mit seinem Auto, stoppt und spricht mich auf perfektem Englisch an.
Yoshi war selbst einmal 1 Jahr mit dem Rad unterwegs. Er wollte die ganze Welt umrunden hat sich aber in Australien in Sawa verliebt. Zusammen mit Sawa hat er sich dann hier einen Traumerfüllt. Die beiden haben eine Milchfarm gekauft. Er lädt mich zusich auf den Hof ein und natürlich nehme ich an. Es werden schöne Tage bei sehr gastfreundlichen Menschen. Ich helfe mit auf der Farm und genieße das Landleben. So komme ich auch dazu zum ersten Mal in Leben Kühe zu melken. Der Milchpreis ist in Japan ca drei mal so hoch wie in der EU. Daher ist es hier noch ein gutes Geschäft. Den riesigen Kredit haben die beiden schon abgezahlt. Da die Kinder allein die Stadt ziehen wollen werden sie den Hof wohl demnächst wiederverkaufen und dann gemeinsam durch die Welt reisen.
Onsen über Onsen. Ich finde viele tolle heiße Quellen auf Hokkaido. Manche sind sehr bekannt. Dort bin ich dann oft zum Sonneaufgang. Dann sind die Quellen noch leer und die Atmosphäre ist fantastisch.
Andere Quellen sind so gut wie verlassen. Ich baue mein Nachtlager bei einer dieser Vergessenen direkt neben dem Becken auf. Es gibt keine gerade Fläche, aber ich improvisieren indem ich gefundene Bretter zu einem Nachtlager umfunktioniere.
Im wilden Nordosten der Insel erlebe ich dann noch eine Geschichte die ich selbst wohl nicht geglaubt hätte wenn ich sie hier als Erlebnis aus Japan lesen würde.
Ich bin auf einer Piste unterwegs zu einemabgelegenen warmen Fluß im Shiretoko-Nationalpark, wo ich baden und anschließend übernachten möchte. Auf dem Weg stoppt mich ein Ranger. Mit gebrochenen English erklärt er mir, dass es hier sehr viele Bären gibt. Ich solle besser zurück in die Zivilisation. Ich entgegne, dass ich aus Nordamerika gewissen Erfahrungen mit Bären habe und sämtliche Vorsichtsmaßnahmen beherzige. Ich koche nicht am Zelt und die Essenstaschen werden selbstverständlich abends an einem Baum hochgezogen. Er erklärt sich bereit mich ziehen zu lassen.
Das Bad wird toll und die Nacht bleibt ruhig. Am nächsten Morgen koche ich mir gerade einen Kaffee als ich im weit entfernten Berghang einen Bären erblicke. Fasziniert schaue ich mir das Tier an. Als ich mich wieder zu meinem mittlerweile kochenden Wasser umdrehe traue ich meinen Augen nicht!
2 Braunbären stehen nur 4 Schritte von mir entfernt direkt vor dem Kocher. Wollen die beiden etwa auch einen Kaffee trinken?
Es ist ein komischer Gefühlscocktail, mehr völlige Ungläubigkeit als Angst oder Panik. All das theoretische Wissen kann ich nun also anwenden. Ich mache mich groß, kreise mit den Armen und spreche die Tiere laut an. Es klappt. Die Verlockungen eines schönen Frühstücks können die Angst vor diesem komischen bärtigen Typender blöd herum hampelt nicht überbieten. Die beiden verschwinden wieder im Dickicht.
Wenigspäter hat mich der Asphalt wieder und ich brause mit hoher Geschwindigkeit den Pass hinunter. Auf einmal sehe ich einen riesigen Bären mitten auf der Straße stehen. Nur durch eine Vollbremsung kann ich verhindern ihn über den Haufen zu fahren. Der Bär rührt sich keinen Zentimeter sondern guckt mich nur an. Ich beginne wieder mein Theater und brülle ihn an. Es funktioniert erneut, der Bär verschwindet.
Es sind Erlebnisse die ich bis dato nie mit Japan in Verbindung gebracht hätte. Begegnungen mit wilde Bären in einem der am dichtesten bevölkerten Länder dieser Welt. Auf Hokkaido ist es möglich!