Indien Teil 4

unterwegs auf der Streuselkuchenpiste

Mein Weg führt mich weiter in das abgelegene Bergdorf Mantalai. Hier arbeitet Naveen als Arzt in einem Krankenhaus.

Naveen hat in den USA studiert und auch als Arzt gearbeitet. Aber er wollte zurück in seine Heimat und mit der Bergbevölkerung hier arbeiten. 2 Tage lang begleite ich ihn ins Krankenhaus. Auffällig ist das kaum Patienten kommen. Als ich ihn darauf anspreche zeigt er auf den riesigen Bergrücken auf dem ich vereinzelt immer wieder einige Häuser ausmachen kann. Dort leben Bauern die den ganzen Tag über draußen arbeiten und wenn die Leute zu Besorgungen in die Stadt kommen laufen sie meist über Stunden. „Dieser aktive Lebensstil hält fit, die meisten Zivilisationskrankheiten gibt es hier einfach nicht. Und für viele schwerwiegende Krankheiten wie Krebs nehmen die Leute ein Heilkraut, dass hier von der Haustüre wachst und in der westlichen Medizin aus Profitgründen kaum eine Rolle spielt – Cannabis“ erklärt mir der Arzt Naveen.

Ich bleibe einige Tage und wir machen viele Ausflüge in die Bergwelt. 2 Tage lang arbeiten wir dort mit Bauern um eine alte Wasserquelle wieder frei zu legen die vom Dschungel zugewuchert war. Mir wird in dieser Zeit schon klar, warum Naveen hier so gerne lebt. Es ist ein einfaches und entschleunigtes Leben das durch die Gemeinschaft geprägt ist.

Naveen’s Frau und die gemeinsame Tochter leben in der Großstadt Jammu. Am Wochenende fährt er zu ihnen. Er nimmt sein Motorrad und ich den Zug. Umgerechnet 50 Cent für knapp 2 Stunden Zugfahrt. Billiger geht’s kaum. Dafür ist der der Zug aber auch gerammelt voll. Wo soll ich hier denn mit meinem großen Rad hin? frage ich mich. Aber das hier ist Indien, vieles ist unkompliziert möglich. Ich rede ein wenig mit dem Zugführer und darf dann in seinem Ruheabteil mitfahren.

Die Zeit in Jammu wird viel länger als erwartet. Mein Laptop ist kaputt und wird auf Garantie repariert. Aber das dauert. Außerdem bekomme ich einen langanhaltenden Durchfall. Naveen hat ein großes Haus in Jammu und ist sehr entspannt. „Bleibe so lange wie du willst“ ist seine Ansage und er meint es auch so. Er selbst verlängert seinen Urlaub und bleibt ebenfalls in Jammu. Zusammen erledigen wir ein paar Renovierungsarbeiten im Haus. Das ich hier im Bundesstaat Kaschmir bin hatte ich fast vergessen. Bis an einem Morgen auf einmal, wie zu Beginn meiner Tour, wieder alle Kommunikationskanäle abgeschaltet sind.

In Srinagar gab es erneut einen Anschlag. Ein indischer Touristenbus wurde beschossen, mehrere Menschen sind dabei getötet worden. Aber hier in Jammu merkt man davon nicht viel. Die Schulen bleiben geschlossen, ansonsten geht das öffentliche Leben weiter wie bisher. 2 Tage später geht auch das Internet wieder.

Ein paar Tage später kündigt sich ein weiterer Reiseradler bei Naveen an. Ivan aus Bulgarien. Wie verstehen uns sofort sehr gut. Ich erzähle von meinem Plan das Spiti-Tal, eben jene Route die noch vor kurzem unpassierbar war, zu fahren. Ivan ist begeistert davon und entschließt sich mit mir zu kommen. Es gibt nur ein Problem, und das ist die Zeit. Er muss in 3 Wochen in China einreisen, sonst verliert sein Visum die Gültigkeit. Bis nach Manali nehmen wir daher den Bus. Naveen bringt uns in seinem Kleinwagen quer durch die Stadt zum Busterminal. 2 Räder und unser vieles Gepäck– alles in einem Auto in dem in Deutschland wohl kaum jemand auch nur 1 Rad transportieren würde.

Von Manali geht es zunächst in Richtung Rohtang Pass. Der knapp 4000m hohe Pass bildet eine Wetterscheide zu den trockenen Hochtälern, dementsprechend hoch ist hier der Jahresniederschlag. Für uns macht das Wetter anscheinend keine Ausnahme. Vom ersten Tag an regnet es ohne Unterlass.

In der Nacht wird der Regen immer heftiger. Der Boden kann das Wasser nicht mehr aufnehmen, es entstehen kleine Flüsse. Ziemlich blöd dass mein Zelt ein Teil der neu entstandenen Wasserlandschaft wird. Das Wasser kommt von unten! Isomatte, Schlafsack – alles wird patschnaß. Ein wahrer Zeltalbtraum. Fast noch schlimmer ist, dass unerwartet der Durchfall mit voller Macht zurück kommt. Ich schlafe kaum ein Sekunde. Am nächsten Morgen bin ich schon bevor ich das Rad überhaupt besteige mit meinen Kräften am Ende. Wie soll ich in dem Zustand bloß noch über 40km berghoch fahren und nachts dann wieder in den nassen Sachen schlafen? Nach 2 Stunden Quälerei im kalten Regen taucht auf einmal eine fata morgana auf – ein kleines Dorf entlang der Passstraße! Ich zögere kaum eine Sekunde. Nach Absprache mit Ivan buche ich ein Gästezimmer für ein paar Euro – ein auf meinen Reisen extrem seltener Luxus. Die Möglichkeit Schlafsack, Isomatte, Zelt etwas zu trocken und vor allen Dingen einfach nur auszuruhen und zu schlafen ist wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Die Erfahrung das ein Bett in einem geschlossenen Raum, das zuhause doch selbstverständlich ist, manchmal so glücklich machen kann, ist eine faszinierende Erfahrung. Ein Erfahrung für die ich rückblickend, so eigenartig es klingen mag, auch sehr dankbar bin.

Am nächsten Tag gibt es eine Überraschung. Der Blick hinaus erinnert eher an eine deutsche Autobahn. Eine lange Schlange von Autos erstreckt sich weit hinunter ins Tal. Die Straße ist ab Ortsausgang abgesperrt. Weiter oben hat es in der Nacht einen gewaltigen Erdrutsch gegeben. Mit schwerem Gerät und Dynamit wird versucht die Straße wieder passierbar gemacht. Trotzdem dauert das natürlich mehrere Stunden. Ich freue mich über diese erzwungene Verzögerung der Weiterfahrt und schlafe weiter. Bis wir den Rohtang Pass erreichen wartet schließlich noch eine Menge Arbeit auf uns.

Einige Tage später zweigen wir dann auf die kleine Straße ab die zum Kunzum La Pass führt. Die Gegend ist einfach nur grandios. Die Campingmöglichkeiten traumhaft schön. Mein Durchfall ist wohl dank der zweiten Antibiotika Kur endgültig überstanden und so kann ich es endlich wieder voll genießen. Trotzdem haben die Strapazen in Kombination mit der Krankheit ordentliche Spuren hinterlassen. Ich staune nicht schlecht, als ich auf einer Waage feststellen muss, dass ich ganze 8 Kilo innerhalb dieser kurzer Zeit abgenommen habe.

Die Straße, vor die ich einige Wochen zuvor noch gewarnt wurde, ist streckenweise tatsächlich nur ein Bachlauf. Es gibt immer noch viele Passagen die wir nur schiebend meistern können, aber wirkliche Probleme bekommen wir nicht. Die Jeeps haben es da schon schwerer. Alle Nasenlang bleibt ein Jeep stecken und die gesamte Besatzung muss im Wasser mit anpacken um das Gefährt wieder frei zu bekommen. Nach Tagen erreichen wir erschöpft aber glücklich den 4590m hohen Kunzum La Pass.

Von hieraus geht es hinab ins Spiti Valley. Das abgelegende Tal ist buddhistisch geprägt und es gibt viele tolle tibetische Kloster zu besichtigen. Das Kloster von Tabo ist eines der Ältestens überhaupt. Es wurde im Jahr 996 gegründet und besteht im alten Teil nur aus Lehmbauten ohne Fenster. Licht gibt es nicht um die Wand Zeichnungen im Inneren nicht zu zerstören. Wenn die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben kann man die Malereien allerdings erkennen und es wird ganz besonderer, einmaliger Ort.

Nach und nach wird es wieder „indischer“ Die Landschaft wird grüner, das Klima tropischer. Die Straßen werden voller und es wird chaotischer. In Shimla heißt es Abschied nehmen von Ivan. Es war eine tolle Zeit, wir sind Freunde geworden und werden sicherlich noch einmal zusammen reisen. Ivan muss nun schnell China erreichen bevor sein Visum die Gültigkeit verliert und ich habe mich entschlossen ein Land zu besuchen das schon lange auf meiner Liste steht: Japan!

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