Indien Teil 1

eingeschlossen in Srinagar

Srinagar? Der weltpolitisch interessierte Leser wird nun zu Recht aufhorchen. Die Lage in der Stadt im Norden Indiens ist von Zeit zu Zeit sehr angespannt.

Viele Muslime im Kaschmir wollen nicht zum hinduistischen Indien gehören. Sie wollen einen unabhängigen islamischen Staat. Ich bin mit Sonu in Kontakt. Er lebt seit seiner Geburt in Srinagar und kann die Lage dementsprechend guteinschätzen. Er gibt Entwarnung, alles ist ruhig – ich soll kommen! Zu meiner Freude mache ich mich nicht alleine auf den Weg zum Flughafen. Durch Zufall habe ich im Internet einen Reisepartner gefunden. Jörg aus Hannover ist mit an Bord. Mein langjähriger Reisepartner Matthias verabschiedet sich dagegen vorerst in den Radreise-Ruhestand. Er wird Papa.

Am Flughafen in Srinagar merken wir sofort, dass die Situation hier ein wenig anders ist. Wir sehen überall Militär und vor dem Flughafen stoppt uns die Touristenpolizei. „Wo wollt ihr denn hin?“ Wir erklären, dass wir eine Einladung von einem Einwohner haben. Das reicht aber nicht, sie bestehen auf einen Anruf bei Sonu. Dieser muss am Telefon erklären, dass er persönlich für unsere Sicherheit garantiert.

Puh, was geht denn hier ab denke ich mir. Sie sind sehr freundlich, entschuldigen sich für all diese Maßnahmen aber es ist nur zu unserer Sicherheit. Es passiert nicht oft, dass hier 2 Westler ankommen die nicht die touristische Infrastruktur nutzen.

Eine genaue Adresse zu Sonu’s Haus haben wir nicht, nur den Stadtteil.

Das Gute: Als Westler auf Reiserädern fällt man hier auf wie ein bunter Hund. Sonu entdeckt uns zufällig wie wir umherirren und führt uns zu seinem Haus. 3 Räume für Sonu, seine Mutter, seine 3 Schwestern und nun auch für uns. Wir bekommen das einzige Bett. Die 4 Frauenschlafen zusammen in der Küche, Sonu auf dem Boden.

Am nächsten Tag machen wir uns zusammen mit Sonu und seiner Freundin Sam auf, um die Stadt zu besichtigen. Gegen Mittag bekommt Sam einen Anruf, der unsere ganze Situation hier verändern wird. Aus der Altstadt hört man Schüsse und das Militär marschiert auf, berichtet ihr Vater. Sie soll unverzüglich nach Hause kommen. Als„mutige Männer“ wollen Jörg und ich Sam natürlich erst noch „sicher“ nach Hause begleiten. Aber Sonu riegelt ab. Alleine ist Sam sicherer als in Begleitung von 2 fremden Westlern.

Zu diesem Zeitpunkt unterschätze ich die Situation noch, aber langsam aber sicher dämmert mir, wo wir hier hineingeraten sind. Für uns ist es derweil nicht so einfach nach Hause gekommen. Die Straßenhinaus in unseren Bezirk sind vom Militär abgeriegelt, wir müssen warten. Aber es gibt Hoffnung. Die Straßen sollen noch einmal für kurze Zeit geöffnet werden damit alle Leute nach Hause zu ihren Familien können. Was hier gerade passiert, ist für einen Nachkriegsdeutschen völliges Neuland. Das Militär übernimmt die Kontrolle. Diese Stadt wird darauf vorbereitet geschlossen zu werden.

Und das passiert dann auch. Als wir Abends zuhause sind hat die Geräuschkulisse mit indischer Normalität nichts mehr zu tun. Das so typische und in meinen Augen total nervige ständige Gehupe der Autos ist verstummt. Kein Auto ist mehr auf den Straßen. Jeder der sich jetzt noch auf den Straßen aufhält muss mit Beschuss durch das Militär rechnen. Aber nicht nur das: Die Mobilfunknetze werden deaktiviert. Kein Telefon, kein SMS, kein Internet. Der Kontakt zur Außenwelt ist abgeschnitten.

Wie abhängig eine moderne Gesellschaft doch von Kommunikation ist und wie einfach und schnell das Militär diese kappen kann, ist eine der erlebten Erkenntnisse in diesen Tagen. Die einzige Informationsquelle ist nun die Satellitenschüssel. Als wir den Fernseher anmachen komme ich mir vor als wären wir mitten im Krieg. So reißerisch, bildgewaltig und übertrieben habe ich bisher keine Nachrichten gesehen. Da kann sich jeder drittklassige amerikanische Katastrophenfilm noch etwas von abgucken.

Für mich fast am schlimmsten ist die Sorge, dass auch die deutschen Medien über dieses Ereignis berichten könnten. Ich habe schließlich keine Möglichkeit mehr, ein Lebenszeichen nach Hause zu schicken. Zum Glück bleibt diese Sorge unbegründet wie ich später erfahre. In der deutschen Medienlandschaft wird über die Ereignisse im Kaschmir kaum berichtet.

Aber was ist überhaupt passiert?

Anscheinend sind 2 Terroristen Anführer vom indischen Militär ermordet worden.

In Srinagar’s Altstadt entfacht deswegen die Wut. Der Mob geht auf die Straße, die Situation eskaliert. Einige Leute sterben, viele werden verletzt. Autos und Häuser werden zerstört. Der beste Ort für fremde Westler in der Stadt wäre nun ein Hausboot indem Touristengebiet Srinagar’s. Dort sind Touristen komplettsicher. Außerdem haben die Leute dort ganz andere Kontakte und Möglichkeiten Touristen rauszubringen, erklärt Sonu.

Aber dieses Gebiet können wir nun nicht mehr erreichen. Das Gleiche gilt für den Flughafen, welcher nur 20km entfernt ist. Jörg überlegt sich dorthin durchzuschlagen. „Einfach hier weg“ lauten auch meine reflexartigen Gefühle. Aber Sonu rät dringend davon ab. Wie rechter hat, sehen wir am nächsten Tag im Fernsehen. 2 Menschen wurden auf der Straße zum Flughafen erschossen. Die Variante, nachts die dann nicht bewachte Straßensperre nach Leh mit dem Rad zudurchqueren legen wir auch gen acta. Auf den Rädern sind wir einfach zu langsam und zu exponiert. Ohne eine fundierte Informationsbasis über die Situation zu haben, ist es das Sicherste wir bleiben einfach hier.

Und wir haben Glück im Unglück. In unserem Stadtteil ist es relativ ruhig. „Hier wohnen nur Sympathisanten, keine aktiven Terroristen“ beruhigt uns Sonu. Ihr braucht keine Angst zu haben“ Trotzdem soll es natürlich nicht an die große Glocke, dass wir hier Unterschlupfgefunden haben. „Man weiß nie, wem man trauen kann und wem nicht“

Nur gute Freunde von Sonu wissen Bescheid. Fürs Erste müssen wir so den Großteil des Tages im Haus verbringen. Allerdings gibt es auch kaum Alternativen. Das öffentliche Leben ist zum Stillstandgekommen. Das gilt jedoch nicht für die Religion, schließlich ist auch gerade Ramadan. Jeden morgen geht jemand um ca 3.30 Ur mit einer Trommel durch die Gegend, der Weckruf. Die Frauen beten zuhause, die Männer gehen in die Majid. Dies wird dann extremlautstark über Lautsprecher übertragen.

Wir warten also erst einmal ab und nehmen die unfassbare Gastfreundschaft dieser Familie in Anspruch. Es sind fröhliche Frauen die auch einfach nur ihr Leben in Frieden genießen wollen. Diese Leute leiden am meisten unter der Situation, die, von einigen Fanatikern ausgelöst, immer wieder eskaliert. Und eine Lösung scheint nicht in Sicht. Indien wird dieses Gebiet nicht abgeben. Die Himalaya Region ist ihr natürliches Schutzschild gegen Pakistan und China.

Wir haben viel Spaß, singen und lachen zusammen. Immer wieder sagen sie uns, dass wir nun zur Familie gehören und dass sie froh sind uns dazu haben. Bei all dem Negativen über die Situation im Allgemeinen bleibt diese Erfahrung am Meisten von den Tagen in Srinagar hängen. Diese herzensgute muslimische Familie, die auch ihre Sicherheit für den Schutz von völlig Fremden riskiert.

 Sonu macht immer wieder Wanderungen über Trampelpfade zu anderen Häusern um Informationen zu bekommen und Optionen für uns zu finden. Dinge die sonst zur Klärung nur einen Anruf oder eine Busfahrt benötigen sind im Moment umständlich. Einmal kommen wir mit zu einembefreundeten LKW Fahrer. Sonu hofft, dass dieser uns rausfahren kann. Aber er enttäuscht uns. „Im Moment riskiert niemand eine Fahrt, wenn er es nicht unbedingt muss.“

„Wenn in den nächsten Tagen keine terroristischen Anschläge passieren wird die Stadt nach und nach wieder frei gegeben. Falls doch werden die Restriktionen auf unbestimmte Zeit verlängert, dann haben wir ein Problem“ erklärt uns Sonu, der ähnliche Situationen hier in der Vergangenheit schon erlebt hat.

Aber Sonu ist optimistisch. Es wird eine Gelegenheit kommen, die Stadt zu verlassen. Und er hat Recht. Auf einmal ereignen sich viele parallele Ereignisse die uns in die Karten spielen. Ein Handynetz erlaubt wieder Anrufe. Sam hat dieses Netz und kann nach einigen Absagen auch einen Taxifahrer erreichen der bereit wäre, uns auszufahren falls wir die nötige Durchfahrerlaubniss bekommen. Am nächsten Morgen wird unser Stadteil größtenteils wieder freigegeben. Wir können daher problemlos zur Polizei und gegen ein kleines Handgeld bekommen wir die nötige Durchfahrterlaubnis in Richtung Leh.

Am nächsten Morgen brechen wir früh auf.  Sonu entscheidet, uns zu begleiten, da er nicht weiß ober dem Taxifahrer vertrauen kann. Für Sonu ist diese ganze Lage auch alles andere als einfach.

Zur Erinnerung: Er hat zu Beginn für unsere Sicherheit garantiert. Würde uns nun auf diesem Weg etwas passieren, könnte, das auch für ihn sehr unangenehm werden. Wir fertigen daher eine Erklärung an, dass wir sein Haus auf eigene Verantwortung selbständig verlassen haben.

Essind erstaunlich viele Autos auf den Straßen. Über Nacht wurden weitere Restriktionen erlassen. Jeder der nun Besorgungen außerhalb der Stadt machen möchte, nimmt diese Gelegenheit wahr. Das Leben beginnt wieder! Kurz hinter Srinagar noch ein kleiner Aufreger – wieder viel Militär. Einige Leute werfen mit Steinen auf die Autos. Aber kurz danach sind wir im sicheren Fahrwasser nach Leh und Sonu, seine Familie und Sam sind für mich die Helden dieser ersten Tage im Himalaya. Die Radreise kann starten. Mehr davon im Bericht Indien Teil 2.

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