Deutschland und Tschechien 2024
Von Berlin über Prag nach Regensburg. Unsere erste kleine Radreise als Familie.
Wie weit werden wir kommen? Wo können wir enspannte Pausen machen? Was wenn es regnet? Wird Tomte in der Lage sein die Eindrücke zu verarbeiten und kann er das Unterwegs-sein genießen? Mit diesen Gedanken rollen wir raus aus Berlin. Durch Brandenburg, Sachsen und weiter nach Tschechien. Es soll eine Testtour sein, denn im Herbst wollen wir unsere Wohnung aufgeben und wieder auf große Reise gehen.
Schnell ist der komfortable Mauerradweg am südlichen Rand von Berlin zu Ende gerollt. Eine Baustelle möchte uns auf einen Umweg schicken – aber nicht mit uns! Wir probieren es trotzdem vorbei an der Absperrung und landen mit unserem Gespann auf einem staubig-holprigen Ackerpfad. Tomte im Anhänger scheint das so gar nicht zu stören. Im Gegenteil. Das Gepolter und Geschüttel wiegt ihn nur tiefer in den Schlaf. Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig zum nächsten Ort unter den breit gespannten Sonnenschirm einer Dönerbude als sich eine schwere, dunkle Wolke über uns erleichtert. Zeit für Falafel und eine Mittagspause.
An einem der zahlreichen Seen Brandenburgs finden wir abends ein Plätzchen für unser Zelt. Die letzten Kilometer dorthin schlängeln sich durch herrlich duftenden Kiefernwald. Nur schade, dass uns die Stechmücken nur so über den Waldweg jagen. Kaum fahren wir langsamer setzten sich die kleinen Biester auf unsere verschwitzte Haut und greifen zu. Ahhh. Zum Wahnsinnig werden!
Aber was für ein Paradies, denken wir, als das Zelt steht und wir in aller Ruhe das Essen kochen. Nur selten surrt hier und da mal eine Mücke um uns herum. Auf unserer Ufer-Lichtung bleiben wir weitestgehend verschont. Zum Glück. Tomte spielt verzückt mit irgendwelchen Tüten und Taschen oder guckt mit großen Augen, was wir da wurschteln und schnibbeln.
Als wir später im Zelt liegen, weht eine angenehm kühle Brise durch das Mückennetz in unser Schlafgemach. Der Wind wird immer stärker. Es rumpelt und pumpelt in der Ferne und als das Gewitter uns schließlich erreicht, schläft Tomte bei schlackernden Zeltwänden und Regen-Gebrassel selig ein.
Weiter geht’s in den kommenden Tagen durch die weite Schönheit der Heide-, Wald-, und Seenlandschaft Dahme, Spreewald und Lausitz. Der Sommer zeigt was er kann und wir planen unsere Etappen entsprechend von Gewässer zu Gewässer. So aufgeheizt und verschwitzt ins kalte Wasser zu springen setzt Glücksgefühle in rauen Mengen frei. Herrlich! Auch Tomte macht hier seine ersten Badeerfahrungen. Mit einem unterdrückten Stöhnen überwindet er den Kälteschmerz wenn wir mit Ihm auf dem Arm immer tiefer ins Wasser schreiten. Ist der kritische Punkt überwunden, beginnt er so fröhlich-aufgeregt herum zu plantschen, dass es eine reine Freude ist, ihm dabei zuzusehen.
Wir genießen den Abschnitt bis zur Tschechischen Grenze sehr. Die Strecken führen uns entspannt durch wenig spektakuläre aber sehr idyllische Landschaft mit vielen Bademöglichkeiten. Immer wieder überrascht uns dabei ein hübsches Städtchen oder ein charmantes Dorf. Darunter zum Beispiel der malerische Ort Nebelschütz, der im sanften Hügelland gebettet, größtenteils von Sorben bewohnt und gestaltet wird. Die liebevoll restaurierte Höfe und üppig bewachsenen Gemeinschaftsgärten lassen uns mit dem Gefühl durch radeln, dass dies ein Ort mit besonderem Spirit zu sein scheint.
Auch die an der Spree gelegenen Stadt Bautzen beeindruckt uns mit ihren alten, schönen Gemäuern. Ein berühmt berüchtigtes Gebäude dass allerdings so gar nicht positiv hervorzuheben ist, ist das ehemalige Stasi-Gefängnis “Bautzen II“. Wir haben die Gelegenheit an einer Führung teilzunehmen, geleitet von einem Mann der dort mehrere Jahre gefangen gehalten wurde. Eine sehr eindrückliche, beklemmende und emotionale Geschichte. Puh. Und in dem Fall klar der Vergangenheit zuzuordnen, ganz im Gegensatz zu den Geschichten die Chris erzählte als er wenige Tage zuvor vom Militär- und Oltimertreffen in Drewitz zurück kam. Während Tomte und Ich einen Pausentag am Schwielochsee bevorzugten, radelte Chris aus Neugierde zu dieser Veranstaltung. Was eigentlich ein historisch interessantes Treffen sein könnte, entpuppte sich als eine tief braune Nazi-Veranstaltung. Ein nachgebautes Wehrmachtlager dient hier als Kulisse für kriegsbesessene Menschen mit rechtsextremen Fantasien. Die zahlreichen Hakenkreuze wurden abgeklebt, der Hitlergruß in abgewandelter Form ausgeführt und an den Ständen kann man Kleidung kaufen die mit versteckten bzw. zweideutigen Symbolen der Szene bedruckt sind.
Was ist da los?
Das frage ich mich ehrlich gesagt auch als wir vor einem Supermarkt gerade Tomtes Windel wechseln und dabei einen Smalltalk mitbekommen bei dem über das Wetter, die Arbeit und die bevorstehenden Rentenjahre geklagt wird. Die beiden Männer sind sich einig: Schuld daran sind „Die sch… Ausländer“, denn die bekommen ja alles „in den A… geschoben“. Vollkommen perplex, dass diese Redensart schon im Smalltalk salonfähig zu sein scheint, bleiben wir zurück. Sprachlos. Leider. Auf den nächsten Kilometern fällt mir vieles ein, womit ich mich gerne eingemischt hätte.
Wo eine Einmischung so gar keinen Sinn gemacht hat war in Muckwar. Ein beschauliches kleines Dorf im Süden Brandenburgs, umgeben von alten Buchen, Teichen und feuchten Wiesen die des Nachts vom Nebel eingehüllt mystisch anmuten. Hier dürfen wir über die Platform „1NiteTent“ im Garten unser Zelt aufstellen. Die Gastgeber, ein Paar aus Baden-Württemberg, sind vor wenigen Jahren hier her gezogen. Ruhe und bezahlbarer Wohnraum lockte die Beiden damals aufs Brandenburger Land. Als wir dort ankommen werden wir herzlich begrüßt und gleich durch den üppig bewachsenen Selbstversorgergarten geführt. Tomtes Aufmerksamkeit gilt dabei vor allem den zwei riesigen, gutmütigen Hunden die, ebenfalls neugierig, neben uns her tappen.
Villa Kunterbunt, so nennt das Pärchen ihr Zuhause und ja, es ist wirklich herrlich und ein wunderschöner Ort den die Beiden sich hier geschaffen haben. Wären da nicht diese irritierenden Bemerkungen hier, die Russland-Fahne da,…. Im Laufe des Abends wird es immer verrückter, die Themen absurder und uns wird immer klarer, dass eine Diskussion hier kaum noch Sinn macht. Wir sind gelandet bei Anhängern der QAnon-Bewegung, deren Weltsicht zerfressen ist von Verschwörungstheorien mit antisemitischem Hintergrund, gepaart mit spirituellen Erkenntnissen.
Wir entscheiden uns also gegen das Argumentieren und für die Neugierde, denn es ist zwar auf Dauer anstrengend aber einfach auch faszinierend wie manipuliert und überzeugt von den absurdesten Verschwörungen Menschen sein können wenn sie in den Strudel der richtigen Medien und geraten. Die Beiden fiebern, so sagen sie es selbst, den Nachrichten des sogenannten „Wahrheitsfinders“ entgegen, der alle paar Tage seine Sicht auf die Weltgeschehnisse über Telegram raus haut. Außerdem läuft ununterbrochen im Hintergrund das Show-Agenten-Radio, welches verschwörungs-idiologischen und rechsextremen Content liefert und dabei tönt wie ein herkömmlicher Sender.
Mit den Taschen voller Eindrücke fahren wir am nächsten Tag weiter. Kaum liegt der Ort hinter uns, schläft Tomte im Anhänger ein und wir haben endlich die Gelegenheit, uns in Ruhe über die Erlebnisse der vergangenen Nacht in der „Villa Kunterbunt“ auszutauschen.
Am selben Tag noch erreichen wir Hoyerswerda und schlafen wiedermal bei einer Familie, die ihren Garten über „1nitetent.com“ zum Zelten zur Verfügung stellt. Wie Couchsurfen, nur draußen. Wir nutzen diese Platform auf dieser Reise das erste Mal und sind begeistert. Es ermöglicht uns günstig zu reisen, dabei nicht unbedingt Wild zu zelten und wir lernen dabei die unterschiedlichsten Leute kennen. Hier in Hoyerswerda nämlich Juliane, die nach ihrem Studium in ihre Heimatstadt zurück kam um als Journalistin für die regionale Tageszeitung zu schreiben. Es ist total spannend was sie über den Osten, ihre Heimat und die Menschen zu erzählen weiß. Sie hat eine total angenehme, positive Energie und mit dieser leistet sie ganz bestimmt wunderbare Arbeit für Hoyerswerda.
Irgendwann rollen wir dann über die Grenze in das tschechische Nordböhmen, (Severní Čechy). Auf unserer Route nach Prag, staunen wir über die vielen, eindrucksvollen und bunten Umgebindehäuser in den Dörfen der Lausitzer Berge (Lužické hory) und der Daubaer Schweiz. Als wir in der mittelböhmischen Stadt Mělník angekommen, gucken wir vom Schloss aus auf den Zusammenfluss von Elbe und Moldau, deren Ufer uns mehr oder weniger bis Prag begleitet.
Nach 4 Tagen in Tschechiens Hauptstadt reicht es uns dann wieder. So schön die urbane Abwechslung und die Vielfältigkeit einer Großstadt auch ist, mit kleinem Kind ist es einfach ein kompliziertes Terrain und eher anstrengend. Zu viele Sinneseindrücke, zu viele Orte die nur für Erwachsene geschaffen sind. So ist es jetzt halt mal auf absehbare Zeit.
Als wir aus Prag raus fahren ist es immernoch sehr heiß. Zum Glück führt uns die Route zurück nach Deutschland erstmal bis Pilsen entlang am Fluss Berounka. Ich liebe diesen Fluss. Jeder Ort hat hier seine Badestellen am Ufer, die, so mitten in der Ferienzeit, mit Leben gefüllt sind. Wir mögen die Stimmung hier auch weil Tomte so sehr mit Gucken beschäftigt ist, dass wir uns auch ein wenig entspannen können. Wunderbar.
Den krönenden Abschluss unserer Tour bietet uns dann Regensburg. Was für ein hübsches Städtchen! Im bayrischen Biergarten stoßen wir an, auf eine erfolgreiche Tour mit unserem Tomte. Auf geht’s nach Amerika!