China/Tibet

Liegestütze in tibetischer Hochkultur

Das Radfahren in Chengdu, immerhin eine 14 Millionen Einwohner Metropole ist, im Vergleich zu südamerikanischen Städten wie Lima, eine Kaffeefahrt. Auch hier wird ständig gehupt, oftmals bei Rot gefahren, aber die Straßen sind überdimensionert. Die Kreuzungen sind so groß wie Fußballfelder. 

Schwieriger gestaltet es sich, hinauf in die Berge zu kommen. Die einzige Nebenstraße, endet irgendwann einfach. Ein Erdbeben von 2008 ist Schuld. Ein betrunkender Chinese versucht uns, so glaube wir, klar zu machen, dass wir die Autobahn nehmen sollen. Ein 6 Kilometer langer Tunnel, eingerahmt von Verbotschildern für Motorräder und Fahrräder, begrüßt uns dort. Es kostet uns einiges an Überwindung ins Dunkle hinein zu fahren, die Autofahrer sind aber zum Glück extrem rücksichtsvoll. Nach dem Tunnel baut sich jedoch kein Gefühl der Entspannung auf, kündigt sich doch direkt die nächste 5km lange Röhre an. Dazwischen eine fahrbare Polizeistation. Sich in dieser Straßenverkehrssituation der chinesichen Polizei vorzustellen, verursacht etwas Magengrummeln. Zu unserer Überraschung sind die Polizisten aber nur daran interessiert ein Foto mit uns zu machen. So fahren wir an diesem Tag an die 20km chinesische Autobahntunnel, bis wir dann die Stadtausläufer endgültig hinter uns lassen. Die tibetische Hochgebirgswelt mit ihren unzähligen 4000m hohen Pässen und 6000m hohen Bergen zieht uns endgültig in ihren Bann.

Bei Aba dominieren endlose Grashügel mit Yakherden die Landschaft. Am Tro La Pass dagegen, den mit 4950m bisher höchsten Punkt der Tour, erleben wir eine spektakuläre Passtraße mit Gletschern und spitzen Bergen die an die Dolomiten erinnern, nur in XXL Größe. Aber auch Wälder in den intensiven gelben und roten Farben des Herbstes bekommen wir zu sehen. Die Architektur wechselt ebenfalls stark. Zum einen die Zelte der Nomaden, zum anderen prächtige Steinhäuser mit wunderbar farbig verzierten Fenstern. Tibetische Gebetsfahnen, – mühlen und Mönche in den typischen orangenen Kutten begleiten uns überall.

Im Grasland von Aba übernachten wir bei Yak Nomaden. Obwohl keiner den anderen versteht kommen wir schnell in Kontakt. Sie helfen uns geschickt beim Aufbau unserer Zelte und später kochen wir zusammen. Diese Erfahrung bleibt keine Ausnahme. 

Die Tibeter sind tolle Menschen! Sie strahlen eine Herzlichkeit und Offenheit aus, die uns immer sofort das Gefühl geben hier in ihrem Land willkommen zu sein. Das Gefühl von Unsicherheit hatte wir bisher kein einziges Mal. Die verbale Kommunikation ist natürlich ein Problem oder besser gesagt sie ist nicht existent. Alles läuft über nonverbale Zeichensprache. Selten treffen wir jemanden, dessen Englisch über die Wort Hello, OK und Goodbye hinausgeht. Sobald wir in besiedelte Gebiete einfahren, kommen die Menschen von den Feldern, Yakwiesen oder aus den Häusern angerannt. Kaum einer der uns nicht ein freundliches „Tashi Delek“ oder „Hello“ zuruft. Sobald wir stehenbleiben bildet sich ein Traube von Menschen um uns. Alle reden auf uns ein, einige reden auch einfach immer weiter, obwohl es offensichtlich ist, das wir kein Wort verstehen. Alle zücken ihr Smartphone, wollen unbedingt ein Foto mit uns zusammen. Ein Wunder ist es nicht, kommen wir doch durch Gebiete in die sich bisher kaum eine Langnase verirrt hat, geschweige denn mit dem Reiserad.

In Aba, jener Stadt die nach einem tibetischen Aufstand 2008 jahrelang für Touristen gesperrt war und bis heute komplett vom Internet abgeschnitten ist, werden wir gar angeschaut, als würden wir per Ufo einschweben. Vor dem Kloster werden wir auf Englisch angesprochen. Tanzen ist hier Lehrer für tibetische Sprache und hat Englisch im Studium gelernt. Er bietet sich an uns das Kloster zu zeigen. Plötzlich werden wir dann jedoch eingeladen, das komplette Kloster im Schlepptau von 3 kleinen Mönchen zu besichtigen. Ein ziemliches Privileg, Tanzen selbst war noch nie in den oberen Etagen des Klosters berichtet er uns. Zu Belohnung kutschiere ich später einen etwa 12 jährigen Mönch auf dem Gepäckträger meines Rad durch die nächtliche Stadt. Völlig fasziniert werden immer wieder ungefragt meine Arme, Beine angefasst. Haarwuchs an diesen Stellen kennen die Leute hier nicht. Sogar die Brust will begutachtet werden und einer wollte gar diverse Stellen unterhalb der Gürtellinie auf Haare hin untersuchen. Der Bart im Gesicht ist natürlich das totale Highlight. Das Rad sollte man ebenfalls tunlichst immer im Auge haben. Die Leute nehmen es oft ungefragt und „probieren“ das Fahren aus. Mittlerweile müssen wir es verbieten, schon 2 mal kam es zu einem Sturz. In einer Region, in der es quasi keine Ersatzteile gibt, kann das „teuer“ werden. Die chinesischen Touristen denen wir begegnen, halten oft ungeniert mit ihren riesigen Teleobjektiven auf uns drauf, unabhängig davon ob wir gerade essen oder sonst was machen. Ich bin definitiv noch nie so oft als Fotomodel eingespannt worden. Diese Distanzlosigkeit der Menschen ist mitunter sehr anstrengend. Unsere Tibet Karte erweckt immer wieder besondere Aufmerksamkeit, so als hätten die Leute hier noch nie eine Landkarte gesehen. In Erinnerung bleibt uns vor allen Dingen ein Tibeter der die Karte minutenlang ernst studiert, falsch herum wohlgemerkt!

In Rangtang werden wir von 2 Lehrern eingeladen. Jamyang unterrichtet hier English! Er freut sich sein Englisch endlich mal praktizieren zu können. Mit seinen Schülern, die alle unter 10 sind, kommt er über einfache Sätze nicht hinaus und wir sind tatsächlich die ersten „Westler“ denen er in Rangtang begegnet. 

Das Badezimmer von unseren Gastgeber Sherjam ist für europäische Maßstäbe schlicht gesagt eine Katastrophe. Die Stehtoiletten und Dusche sind quasi ein Ort, die Waschmaschine steht so dicht daneben, dass es mir ein Rätsel ist wie ich hier mit meiner Größe das Geschäft verrichten soll. Geputzt wurde der ganze Raum allen Anschein nach noch nie. Das Gleiche gilt für die ganze Wohnung, den langfasigen Teppich wage ich nur mit Schuhen zu betreten. Es herrschen hier eine komplett andere Vorstellungen von Hygiene und Sauberkeit. Das stellen wir auch bei Übernachtungen in Hostels fest. Unters Bett gucken sollte man lieber sein lassen und auch die Bettwäsche sollte man nicht genauer inspizieren, vom Geruch in den Toilletten ganz zu schweigen. 

Jamyjang und Sherjam geben uns zum Abschluß noch einen Tipp. Wir sollen uns unbedingt Larung Gar, die größte religiöse Institution der Welt, angucken. Also werfen wir unsere Pläne mal wieder komplett über den Haufen und nehmen einen Umweg gen Norden. Es lohnt! Das Kloster, Heimat von geschätzten 10.000 Mönchen, liegt in einem Talkessel auf 4000m Meereshöhe. Wir kämpfen uns durch die gesamte „Stadt“ bis hoch zum Rand und stellen dort unser Zelt auf. Ein gigantischer Ausblick auf tausende dicht aneinander gepresste rote Häuser und Tempelanlagen.

Nach 3 Wochen sind wir dann in Kandze mit Anselm verabredet. Er ist seit 2 Jahren auf Radreise. Ich kenne ihn nur über das Internet, habe allerdings 6kg Ersatzteile für ihn aus Deutschland dabei. Wie der Zufall es will treffen wir uns zufällig 100km vor Kandze in einem Restaurant. Er reist momentan mit Michael, einem Schweizer. Wir verstehen uns auf Anhieb und so reisen wir seitdem zu Viert durch Tibet. 

Anselm ist unter anderem ein sehr guter Fotograf und hat mittlerweile auch einen tollen Film über sein Zeit in Afrika gemacht. Anschauen lohnt unbedingt! 

Was muss ein Mann alles können“ lautet eines Abends die Frage. Ganz wichtig ist es natürlich das Ei einhändig aufschlagen zu können, meint Matthias. Gut das wir immer 10 Frühstückseier im Gepäck haben, so kann jeder gleich mal seine „Männlichkeit“ unter Beweis stellen. Auch sonst herrscht zu Viert nun ein anderer Wind. Seid Kandze reisen wir zusammen mit Anselm und Michael. Für diverse Verfehlungen gibt es als Strafe immer wieder Liegestütze. Wer zum Beispiel ein Teil seiner Ausrüstung verliert und nachgetragen bekommt, ist fällig. Anselm, mit 26 der Jungbulle im Team, muss besonders oft runter in den Staub. Eine weitere Methode unsere tägliche Portion Liegestütze zu bekommen ist es, die Höhe einer Paßstraße im Tal zu schätzen. Derjenige der am weitesten entfernt ist, darf oben am Gipfel den letzten verbliebenen Sauerstoff aus seinen Lungen blasen. Hier bin ich es! Auf 4200 Meter Meereshöhe – oder waren es 4140m? ; )

In Litang werden wir Zeuge einer Himmelsbestattung. Der Leichnam wird dabei auf einem Berg abgelegt, von Freunden aufgeschnitten und dann den Geiern überlassen. Klingt vielleicht für einige makaber, ist hier aber völlig normal. An diesem Tag sind es Zwei. Der Erste wird sprichwörtlich in der Luft zerissen. Der Zweite wird kaum angerührt. Immer wieder werden Stücke abgeschnitten und den Geiern zugeworfen. Die Tibeter glauben, dass es die Geier riechen ob der Tote ein „guter“ Mensch war oder nicht. Die schlechten Menschen werden liegen gelassen. 

Spätestens in Litang beginnt dann leider auch eine Krankheitsodysee, die von Matthias. Sein Durchfall verschlechtert sich immer weiter, ein normaler Reisedurchfall wie wir ihn in Südamerika sehr oft hatten wird immer unwahrscheinlicher. Unser englisch sprechender Hostelbesitzer bietet sich an uns zu einem Arzt zu begleiten. Dieser Besuch ist filmreif, obwohl das Genre zwischen Horror und Komödie schwankt. Der Arzt sieht kranker aus als Matthias, trägt einen völig verdreckten Arztkittel und nimmt während der „Behandlung“ seine Zigarette nur sporadisch aus dem Mund. 

Das Behandlungszimmer trumpft, milde gesagt, nicht wirklich mit Sauberkeit auf. Überall liegen gebrauchte Spritzen herum, eine Putzkraft hat sich sicherlich schon länger nicht mehr zum Arzt verirrt. Einige andere Patienten verfolgen das Gespräch gebannt, eine junge Dame zieht sich genüßlich einen Gelben hoch und rotzt dann direkt neben Matthias auf den Boden. Der Arzt mißt derweil die Temperatur und den Blutdruck und erklärt dann feierlich, dass Matthias heute noch nichts essen soll, aber das es ab morgen dann schon wieder besser werden wird. Als Behandlung empfielt er eine Infusion mit „irgendwas“ Das Matthias dankend ablehnt versteht sich von selbst. Leider wird nichts besser in den kommenden Tagen.

Die letzten 4500m Pässe über das tibetische Hochland muss Matthias daher teilweise immer wieder per Bus in Angriff nehmen und kommt uns nachgereist. Wir erreichen die Provinz Yunann, es wird wärmer und immer tropischer. Auch der Menschenschlag ändert sich. Wir treffen nun immer öfters auf Han Chinesen. Die meisten sind höflich und nett, allerdings wirken sie auch etwas verbissen auf uns. Das herzliche und lebensfrohe Lachen das die Tibeter so symphatisch gemacht haben, bemerken wir bei Ihnen leider nur noch vereinzelt.

Der politische Konflikt zwischen den Tibetern und der chinesischen Regierung wird tot geschwiegen. Es wird viel Geld in die Infrastuktur investiert, viele lokale Geschäfte werden auch in Osttibet von Chinesen geführt. Es hat den Anschein als würde dieser Teil Tibets durch diese wirtschaftlichen Maßnahmen immer mehr „chinesisch“. Dieser wirtschaftliche Aufschwung für die Tibeter kann jedoch über die vielen Zeichen der politischen Unterdrückung nicht hinwegtäuschen. Die Tibeter haben z.b keinen Reisepass und sobald es Unruhen gibt wird das Internet großflächig abgeschaltet. Nur 2 Beispiele von vielen.

 In China werden wir dann auch tatsächlich das erste Mal beklaut. Nach einem Mittagessen in einem kleinen Dorf kehren wir zu unseren Bikes zurück. Aber Anselm vermisst sofort seine Uhr die am Lenker montiert war. Wir versuchen die vermeindlichen Diebe, die gerade eine Runde Billiard spielen, zur Rede zu stellen. Wir ernten unschuldige Blicke und Ahnungslosigkeit. Also müssen wir härtere Maßnahmen ergreifen. Unser Plan ihnen ebenfalls etwas wegzunehmen geht auf. Als wir mit den erbeuteten Billiard Koes wegfahren wollen, taucht die Uhr wie aus Zauberhand dann doch auf einmal wieder auf! Wir tauschen das Diebesgut gegenseitig aus und fahren mit einer Erfahrung reicher weiter. 

Die Altstadt von Lijiang ist Unesco Kulturerbe. Schön, aber daraus gemacht wurde eine Touristenhölle, ein Ballermann Yunnans. Ich habe bisher keine Stadt gesehen die so auf Tourismus ausgelegt ist. Immer gleiche Souvernierläden wechseln sich ab mit Klubs und Cafes, und das wirklich ausnahmslos. Die Preise sind dementsprechend. 50km vor Lijiang bekommen wir noch ein hervorragendes, frisches Mittagessen für umgrechnet 3 Euro, hier kostet eine kleine Tasse Kaffee nun bis zu 8,50 Euro! Selbst der Zutritt zur Altstadt vor 18 Uhr kostet, 12 Euro! Dieser Kontrast spiegelt unsere Chinaerfahrung wider. Armut und Reichtum existieren hier dicht nebeneinander.

Da unser China Visum abläuft geht es ab Kunming mit großen Schritten per Bus in Richtung Laos. Dort wollen wir dann auch die Spendenprojekte entlang des Nam Ou Flußes besuchen.

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