USA - Colorado

Von kalten Nächten, neugierigen Elchen und goldgelb leuchtenden Espen.
Der Beginn einer langen Reise.

Vor einigen Wochen begann unsere Reise in den Vereinigten Staaten. Genauer gesagt in Denver, der Hauptstadt Colorados, gelegen am Fuße der Rocky Mountains.
Als wir in Denver losradeln, schien die Sonne hell. Wir waren noch nicht mal raus aus der Stadt, da wachte Tomte im Anhänger auf und signalisierte uns lautstark, dass er eine Pause brauche. War uns auch recht, denn wir wollten ohnehin zur Feier des ersten Reisetages landestypisch Burger essen gehen. Mhh war das ein Genuss. Tomte schob sich selig eine salzfreie Pommes nach der Anderen in sein kleines Bächlein und freute sich über das Vögelchen, dass fleißig und ebenso fröhlich die runtergefallen Stückchen auf pickte.
Noch fröhlicher und vor allem sehr erstaunt waren wir Großen, als die Kellnerin vorbeikam, um uns darüber in Kenntnis zu setzen, dass wir jeder Zeit gehen dürften, denn jemand hätte schon für uns bezahlt. Wow, so etwas ist uns noch nie passiert. Wer wohl das Engelchen war, welches uns da zum Tourenstart einfach zum Essen eingeladen hat, noch dazu so bescheiden, dass es sich nicht mal uns vorstellen wollte!?
Wir beeilten uns in die Berge zu kommen, denn dort war die Laubfärbung in vollem Gange und das Wetter noch stabil.

Es ging gleich abenteuerlich los, als wir am Abend unseres ersten Reisetages in Breckenridge ankamen. Viel Zeit blieb uns nicht, den Ort zu erkunden, denn die Dunkelheit rückte näher und wir hatten noch keinen Platz für unser Zelt. Also hörten wir uns um. Das Problem war nur, dass alle Optionen einige hundert Höhenmeter den Berg hinauf lagen. Tja, was blieb uns anderes übrig?! Schnell radelten wir los, die Dämmerung ließ sich schließlich nicht aufhalten. Nach nur wenigen Serpentinen hielt ein Auto neben uns. Der Fahrer stellte sich mit dem Namen Kurt vor und bot uns an, alles ins Auto zu laden und uns auf den 3500 Meter hoch gelegenen Boreas Pass zu fahren. Zwar war die Überquerung des Passes gar nicht Teil unserer geplanten Route, die Chance ließen wir uns aber trotzdem nicht entgehen und stiegen, glücklich um die Mitfahrgelegenheit, zu Kurt ins Auto.
Als wir oben ankamen, schlief Tomte bereits in meinen Armen und Chris beeilte sich, das Zelt aufzubauen. Der Himmel war sternenklar und die Temperaturen um den Gefrierpunkt. Wir gingen an diesem Abend ohne Essen ins Bett. Tomte schlief eh schon und wir waren einfach nur glücklich, unsere kalten Füße in den wärmenden Schlafsack stecken zu können.
Als wir am nächsten Morgen vors Zelt traten, sahen wir erstmals, wo wir eigentlich gelandet sind. Ein schneebedeckter Gipfel leuchtete schon in der Morgensonne. Es dauerte gefühlte Ewigkeiten, bis die Sonne es mit ihren Strahlen auch über den Berg zu unserem Zelt schaffte. Was für eine Befreiung, als sie endlich unsere Backen wärmte.

Es war ein herrlicher Morgen, so frisch und ruhig. An den Berghängen leuchteten goldgelb die Espen im Licht der Sonne. Noch waren wir alleine auf der Straße. Fast alleine, wie wir hinter einer Kurve überrascht feststellten. Ein Elch mit großem Geweih trabte für ein paar Momente vor uns her, bevor er rechts abbog und im Gebüsch verschwand.

Die kommenden Nächte blieben kalt. Umso wohltuender waren die Hotsprings in Buena Vista, zu denen wir von unserem Warmshowershost Dave eingeladen wurden.
Wie ausgewechselt, wohlriechenden und entspannt, die Gepäcktaschen voller Essen und die Flaschen gefüllt mit Wasser krochen wir daraufhin den Cottonwood Pass hinauf.

Seit Monaten fieberten wir schon auf die Reise hin, überlegten, wie es wohl sein wird mit Fahrrad, Zelt und Baby, weit weg von zu Hause.
Es gibt vieles, das es nun, mit Baby an Bord, zu berücksichtigen gibt: Wo können wir eine entspannte Pause machen, ohne dass der Wind uns auskühlt? Auf welcher Höhe können wir Zelten, ohne dass wir der Gefahr der Höhenkrankheit ausgesetzt sind? Reicht das Wasser und können wir unserem Filter trauen? Wie weit kommen wir wohl mit dem nächsten Mittagsschlaf? Auf unseren bisherigen Reisen gingen wir die Risiken nur für uns selbst ein, konnten zur Not auch über unsere Grenzen hinauswachsen, weiterfahren oder frieren.
Wie wir hier in Colorado die Berge hoch und runter rollten, bekamen wir immer mehr Routine: Nach dem Aufwachen erstmal kuscheln, im Zelt herum turnen und dabei Kaffee trinken. Danach wird gefrühstückt, das Zelt abgebaut und die Fahrräder bepackt. Sobald Tomte müde genug ist für sein Vormittagsschläfchen, fahren wir los und radeln etwa so lange, bis der kleine Zwerg wieder aufwacht. Dann machen wir Mittagspause, kochen, füllen unsere Wasser- und Lebensmittelvorräte auf, spielen, begegnen Menschen und fahren schließlich weiter, sobald Tomte bereit ist für seinen Nachmittagsschlaf. Am frühen Abend halten wir Ausschau nach einem geeigneten Platz für unser Zelt. Manchmal ist Tomte dann schon aufgewacht und möchte lieber am Lenker vorne bei Mama sitzen, bis wir angekommen sind. Während wir dann unser Nachtlager einrichten und Abendessen kochen, erkundet Tomte die nähere Umgebung, spielt mit dem Campinggeschirr oder hilft uns wo er kann. Oft ist es schon dunkel, wenn wir im Licht der Taschenlampe zu Abend essen. Sobald die Sonne verschwunden ist, sinken die Temperaturen rapide und wir freuen uns jedes Mal, wenn Geschirr und Zähne geputzt sind und wir endlich mit einem Gute-Nacht-Lied in unsere Schlafsäcke schlüpfen.

Es gab mal wieder Spaghetti, die Reste vom Vorabend, als wir im Schatten von Bäumen, mit Blick auf einen kleinen Bergbach gerade Mittagspause machten.
Ich traute meinen Augen kaum, als ich von meinem Nudelteller aufblickte und in nur 10 Metern Entfernung ein Elch, den Kopf geneigt und die Ohren gespitzt, uns mit seinen großen braunen Augen anglotzte. Mit zaghaften Schritten kam der Elch immer noch näher an uns heran. Dann wurde es uns aber zu bunt. Unsere Nudelreste waren dann doch nicht so üppig und wir brauchten die Kalorien für die kommenden Kilometer. Wir machten uns groß und brüllten tiefe Laute, ganz so wie ich es mit den Kühen auf der italienischen Alpe gewohnt war zu tun. Es funktionierte. Der Elch trabte davon. Eigentlich schade. Aber wir waren uns einfach nicht sicher, welche Gefahr von Elchen ausgehen könnte.

In Gunnison brauchten wir dann erstmal eine Pause. Die Route durch die Rocky Mountains war doch ein ganz schön steiler Start. Außerdem waren wir hier verabredet. Vor etwa 3 Jahren haben wir an einem Supermarkt im Süden Frankreichs Heike aus Minden kennengelernt. Auch sie war mit dem Reiserad unterwegs, nur leider in die entgegengesetzte Richtung. Wir quatschten damals lange auf dem Parkplatz im Schatten, bevor wir in die eine und sie in die andere Richtung weiterfuhr. Zurück in der ostwestfälischen Heimat trafen wir uns dann wieder, wurden Freunde und wie es der Zufall will, sind wir nun wieder auf ähnlichen Wegen unterwegs. Jeweils in Richtung Südamerika und zu dieser Zeit in Colorado. Wir verabredeten uns also in Gunnison und planten, die nächste Etappe über den Kepler Pass gemeinsam zu fahren.
Wieder mal waren unsere Taschen prall gefüllt mit Essen für ein paar Tage, als wir in ein hübsches Tal auf die Ohio Creek Road abbogen. Die Straße sollte uns erst asphaltiert und später dann auf immer gröberem Untergrund auf den Pass führen. Pappeln und Weiden im goldgelben Herbstlaub säumten die Straße und auch an den Berghängen funkelten wieder die Espen wie Lavafelder in der Sonne. Die Landschaft war berauschend schön und mit Heike an unserer Seite rollte das Rad einfach eh gut.
Oben am Kepler Pass entzündeten wir unser erstes Lagerfeuer mit Tomte, lernten Adam kennen, der mit seinen Pferden neben uns campierte und beobachteten mal wieder einen Elch, der am Morgen durchs strohige Feld stolzierte.

Einige Tage später kamen wir in Durango an. Eine kleine Stadt im Süden Colorados. Es war bereits dunkel und mal wieder suchten wir einen Platz für unser Zelt. In einem Wohngebiet entdeckten wir eine kleine, fröhlich plaudernde Feiergesellschaft zwischen zwei Einfamilienhäusern. „Stellt euer Zelt bei uns im Vorgarten auf!” schlugen sie uns sofort vor und wir machten uns, inmitten der feiernden Nachbarschaft, daran, uns häuslich einzurichten. David, der Gastgeber der Party, half uns beim Zeltaufbau und dabei stellte sich heraus, dass er beruflich Zelte entwickelt und verkauft. Bevor wir die Stadt am nächsten Tag verließen, besuchten wir David in seiner kleinen Zelt-Werkstatt. Wunderschöne Zelte aus Baumwollstoff werden dort von Hand an riesigen Tischen produziert und dienen in den USA wohl vor allem den Cowboys und -girls als Herberge, wenn sie mit den Kühen und Pferden in die Weite ziehen.

In diesen Tagen bekam ich das Gefühl anzukommen. Vielleicht weil auch Tomte seinen neuen Alltag begann zu verinnerlichen.
Das Zelt ist sein Zuhause geworden. Die Steine und Stöcke, die Luftpumpe und Opas Ball sein tägliches Spielzeug. Wir genießen das Unterwegs-sein, auch wenn es viel zu tun gibt, mit so einem Krabbel-Kind auf Reisen. Jeder Tag ist anders und voller Überraschungen und dabei staunen wir immer wieder, wie sich am Ende des Tages alles fügt, sofern wir vertrauensvoll auf unser Bauchgefühl hören.

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