Russisches Altai und Kasachstan
von Grenzübergängen und dem, was uns dahinter erwartet
Dass es, sobald man die russische Grenze erreicht hat, grün und waldig wird erzählt man uns in der Mongolei und darauf freuen wir uns riesig als wir die letzten Kilometer durchs trocken-heiße mongolische Altaigebirge strampeln. Lagerfeuer wollen wir dann machen, in Flüssen baden und im Schatten unterm Baum liegen, schwärmen wir. Und dazu sollte es auch kommen – Später.
Erstmal passieren wir unkompliziert die mongolische Grenze, radeln durch den 30 km langen Grenzstreifen zur russischen Grenze, werden dort gründlich durchsucht, kontrolliert und dürfen dann einreisen. Erleichtert dass alles geklappt hat, uns keiner auf das Business-Visum, das wir strenggenommen nicht haben dürften, angesprochen hat, halten wir im kleinen Grenzörtchen und kaufen im Laden zur Feier des Tages ein Bier. WOW, was es hier alles zu kaufen gibt! Die Auswahl ist deutlich größer als in der Mongolei. Während wir vor dem Lädelchen sitzen, auf die erfolgreiche Einreise anstoßen und uns mega über die neue Umgebung mit den herzig-süßen sibirischen Holzhäuschen freuen, kommt die erste Passkontrolle des Weges. Die nächsten 60 km, so heißt es, dürfen wir unser Zelt nicht aufstellen. Borderzone! 60 Kilometer zu passieren, das schaffen wir allerdings nicht mehr. Zu weit ist der Tag vorangeschritten und so fragen wir kurzerhand bei einem Dorfbewohner an, ob wir bei ihm auf dem Grundstück nächtigen dürfen. Wir dürfen und werden sogar eingeladen im Haus zu schlafen.
Am nächsten Tag brechen wir früh auf und halten nach wenigen Kilometern um zu frühstücken in dem immer noch recht kargen aber wunderschön weiten Tal, umringt von spektakulärem Bergpanorama. 20 Meter neben der Straße bauen wir unseren Kocher auf und breiten die Picknickdecke aus. Pancakes soll es geben. Doch als wir gerade den Teig fertig gerührt und die ersten Pfannkuchen gebacken haben, kommt ein Auto auf uns zugefahren. „Passport please“ heißt es und nicht nur das. Wir müssen zurück zur Grenzwache im Ort und Strafe bezahlen, weil wir die Straße verlassen haben. Wie bitte?! Wir wollten doch nur Pfannkuchen frühstücken – und warum sagt uns eigentlich keiner, dass wir die Straße keinen Schritt weit verlassen dürfen?? Nun gut, wir packen zusammen und folgen dem Beamten zur Borderpolicestation.
Sechs Stunden verbringen wir dort, werden endlos interviewt, wiederholen zigmal unsere Personalien und setzen etliche Unterschriften. Die Beamten, zwei Kerle in unserem Alter, sind sehr freundlich und zum Scherzen aufgelegt. Wenn sie versuchen Christians Heimatort „Kirchlengern“ auf Papier zu bringen oder gar auszusprechen, brechen alle Anwesenden in schallendes Gelächter aus. Wenn wir sie auf die skurril-unnötige Maßnahme ansprechen, äußern sie sich verständnisvoll und meinen nur, dass sie halt so handeln müssten – der Gesetze wegen. Merkwürdig finden wir allerdings einen Beamten in zivil, der sich für kurze Zeit zu uns ins kleine Zollkämmerlein gesellt und Fragen stellt wie: was in den deutschen Medien über Russland berichtet wird, ob wir in den Sozialen Netzwerken aktiv sind und Bericht erstatten, ob wir Freunde oder Familienangehörige hätten die bei der Polizei arbeiten, usw…crazy! Irgendwann heißt es dann wir dürfen gehen, müssen aber noch zur Immigrationspolizei, die hätten auch noch ein paar Fragen. Oh Nein, das auch noch?! Ja und da werden wir tatsächlich noch auf unser Business-Visa angesprochen. Sichtlich wären wir ja keine Geschäftsleute (verloddert, verdreckt und verschwitzt wie wir aussehen :))und müssen daher Strafe bezahlen oder werden des Landes verwiesen. Wir entscheiden uns für die Geldstrafe und sind froh, nach weiteren zwei Stunden endlich gehen zu dürfen. Unnötig wars, aber halt auch irgendwie ein Teil unserer Reise.
Lachend, kopfschüttelnd, in erster Linie aber erleichtert, fahren wir der rasant zunehmenden Vegetation entgegen. Nach den Wochen in der Wüste können wir uns gar nicht satt sehen an den farbenfrohen Bergwiesen (ein paar Tage fahre ich immer mit Blumenstrauß am Lenker, weil ich mich so darüber freue und es nicht lassen kann), den schneebedeckten Gipfeln, den unberührten Wäldern, den reißenden Flüssen, den glitzernden Bächlein und der Artenvielfalt. Wahnsinn, dass so unterschiedliche Landstriche nur einen Radeltag voneinander entfernt liegen können. Noch nie habe ich Gemüsegärten so lebendig, bunt und kostbar empfunden wie hier. Mir gefällt`s einfach sau gut hier…und ich dachte ja immer in Sibirien wäre es kalt. Bei sommerlichen 30-40 Grad hüpfen wir mehrmals am Tag in die frischlichen Gewässer, machen abends Lagerfeuer und grillen Fisch, fahren durch Meere von Schmetterlingen, sitzen mit Locals musizierend zusammen, halten bei jeder Gelegenheit die uns ein lecker-kaltes Eis bietet und rollen langsam in flacheres Gefilde, in das Reich der Stechmücken, der Zivilisation, des Verkehrs und der Industrie. Aber besonders hier machen wir so schöne Erfahrungen mit den Menschen. Die Holzhäuser mit ihren bunten Fensterchen, umringt von den Gemüsegärten, berühren mich irgendwie total und ich lerne Russland von einer viel herzlicheren und bunteren Seite kennen als ich es vielleicht erwartet hätte. Das Landleben, die Frauen die mit ihren sommerlichen Hüten und Kleidern zum Dorffest spazieren, die Pferdekutschen und das alles erinnert mich irgendwie an die Geschichten von Michel aus Lönneberga oder Bullerbü. Besonders finde ich übrigens auch den Kontakt mit den Jugendlichen in den Städten. Selten oder auch nie zuvor westliche Ausländer gesehen, sind sie auf angenehme Weise neugierig. Als modern, freudig und engagiert empfinde ich deren Weise und Wesensart. Nicht so überreizt und überdrüssig wie Jugendliche in Europa. Jedenfalls kam es mir so vor.
Viel Geschichte begleitet uns auch auf der Fahrt durch Russland bzw. später auch in Kasachstan. So findet man in jedem noch so kleinen Örtchen riesige Denkmäler. Gedacht wird der toten Soldaten aus dem 2. Weltkrieg, Angehörige aus den jeweiligen Dörfern und Städten. Die Zahl von 27 Millionen aus der Sowietunion stammenden Kriegstoten ist unglaublich. Um so erstaunlicher finden wir es, dass wir als Deutsche überall und ausnahmslos herzlich empfangen und beschenkt werden.
Ob bei all den Verwandten die im Krieg ums Leben gekommen sind nicht auch ein Groll gegenüber Deutschland vorhanden ist? „NeinNein“, bekommen wir immer als Antwort „das sind vergangene Zeiten“.
Ja die Sowjetunion…etliche Landwirtschaftsruinen und verfallene Industrie-Plattenbauten weisen auf die Vergangenheit hin und dienen uns als Unterschlupf und Schutz vor Gewitter und Regen. Jedenfalls habe ich während der Reise schon fast mehr gelernt und verstanden als in all den Jahren Geschichtsunterricht in der Schule 🙂
In Kasachstan sind wir dann nur noch zu zweit,vorübergehend, denn Ivan muss für ein paar Wochen nach Hause fliegen. Der Plan ist, ihn in Kirgisistan wieder zu treffen.
Russland hat es mir angetan und es fällt mir schwer dieses Land zu verlassen. Die Jahreszeit treibt uns voran. Schließlich wollen wir vor Einbruch des Winters im Pamirgebirge, in Tadschikistan sein.
Aber wie es im Leben manchmal so ist, fallen Abschiede zwar schwer, überrascht und inspiriert einen das Neue aber dann um so mehr. So geht es mir mit Kasachstan. Kiefernwälder, funkelnde Gräser in der Abendsonne, anderer Geruch und weniger Stechmücken erwarten uns hinter der Grenze und wiedermal unglaubliche Gastfreundschaft der Menschen, wo ich doch dachte, dass sie wie bisher erlebt, nicht mehr zu übertreffen ist.
Wir verbringen einige Tage in Semey (Stadt im norden Kasachstans) bei Azat und seiner Familie. Zum Abschied bekommen wir (fürs Radfahren nicht ganz so praktische) traditionelle Kleider geschenkt. Eine bestickte Weste und Kopftuch für mich und für Christian einen Hut.
Das ist immer am schönsten und intensivsten, wenn man die Gelegenheit hat für mehr als einen Tag bei Einheimischen mit zu leben, zu erleben wie gelebt wird. Danach dann wieder im Zelt zu wohnen, irgendwo in der Pampa, umgeben von wilder Natur, bietet das dann wieder Gelegenheit zum Verarbeiten, zur Ruhe zu kommen und zu genießen.
Als wir in einen alten Truck steigen, dessen Fahrer `Kurt` unbedingt möchte dass wir einige Kilometer mit ihm mit fahren, wir dann Schaschlikspieße essend (die hat der Fahrer extra für uns an der Tanke gekauft), bei laut aufgedrehter ModernTalking Mukke in der Fahrerkabine schlaglochpistig durchgeschaukelt werden, freuen wir uns total dass alles mal wieder anders kommt als gedacht, uns der Tag wiedermal überrascht hat. Wie immer.
Reisen ist SCHÖN!
Jetzt sind wir seit ein paar Tagen in Almaty, der größten Stadt Kasachstan, planen die Etappen der nächsten Wochen, genießen die Vorzüge dieser erstaunlich modernen und wohlhabenden Stadt, trinken richtig echten Cappuccino mit Milchschaum (Ahh, mein Herzlein hüpft vor Freude, denn danach habe ich mich so gesehnt), essen Fastfood und genießen den Aufenthalt in einem kleinen Apartment, das ein netter Couchsurfer Radreisenden und Hitchhikern zur Verfügung stellt und das ausschließlich für diesen Zweck genutzt wird. Kostenfrei. Unglaublich!
Morgen geht’s weiter, wieder Richtung Berge ins TianShan – Gebirge.
Seid allesamt lieb gegrüßt – ich hoffe es geht euch gut,
Maren