Pyrenäen
Mit dem Bobbycar die Berge rauf. Stück für Stück der Heimat entgegen.
Wie würde es nur werden, wenn wir in wenigen hundert Kilometern in niedrigere, tropische Gefilde kommen? Die sich nähernde Regenzeit mit einhergehender, schwüler Hitze würde sich nicht aufhalten lassen. Wir überlegten also wie es für uns weitergehen könnte und entschieden uns von Mexiko -Stadt nach Spanien zu fliegen, von dort nach Deutschland zu radeln um ein paar Monate mit Familie & Freunden zu verbringen.
Kaum waren wir in Madrid gelandet, fiel auf der gesamten iberischen Halbinsel der Strom aus. Öffentlicher Verkehr, Ampelschaltungen, Internet, Ladenkassen und Licht funktionierten über Stunden nicht mehr. Nachts durch die größtenteils komplett dunkle, nur manchmal durch Kerzen erhellte, Metropole zu radeln war faszinierend schön und erschreckend zugleich. Madrid war im Ausnahmezustand und wir waren es auch.
Durch hübsche kleine Naturparks schlängelten wir uns durch Spaniens Hinterland in Richtung Norden an die Atlantikküste. Wir badeten förmlich in saftigem Grün beim Anblick der Felder, Wiesen und Wälder. Eine willkommene Abwechlung nach den vielen Kilometern durch Mexikos trockene Braunttöne.
Für Tomte waren die ausgestorbenen Dörfer auf dem Land zu Beginn gewöhnungsbedürftig. Während in Mexikos kleinsten Orten das Leben tobte, fanden wir in Spanien gähnende Leere vor. Viele Häuser waren unbewohnt und die Spielplätze verlassen. Voller Vorfreude suchten wir dafür nun jedes Mal den Dorfbrunnen auf. Das Spiel mit dem Wasser ist einfach unendlich spannend und so rettete uns das plätscherde Nass die ein oder andere Mittagspause in den verwunschenen, menschenleeren Dörfern.
Zugegebenermaßen fühlten wir uns erstmal fremd in dieser veränderten Umgebung. Wir vermissten Mexikos Lebendigkeit, die wir vor allem im Kontakt mit den Menschen spürten. In Europa durften wir diese Lebendigkeit dafür in der Natur entdecken. Endlich konnten wir wieder wild zelten und in zahlreichen, sauberen und eiskalten Gewässern baden. Tomtes Aufmerksamkeit galt den vielen Kühen, Eseln und Schafen auf den Weiden, den Stöcken, Steinen und Wurzeln in den Wäldern und den Schnecken, Gänseblümchen und Pusteblumen auf den Wiesen. Aber es gab auch etwas unverändertes. Die Kirchenglocken zum Beispiel: Aufgeregt zeigte er mit seinem kleinen Fingerchen zu den Kirchtürmen und immitierte dabei die Glockentöne mit seinem zarten Stimmlein.
Im Baskenland angekommen wunderten wir uns zuerst über die Wände aus Stein, die an nahezu jedem Ort charakteristisch in die Höhe ragten. Die Basken spielen hier Pelota, ein Ballspiel dessen Geschichte schon Jahrhunderte zurückreicht und zurückzuführen ist auf die ersten Vorläufer des Tennis. Damals wie heute prägt das Spiel die Kultur der Dorfplätze im Baskenland. Fast jeden Abend könenn wir jungen Leuten beim Spielen zusehen. Je nach Variante wird der Ball von den Teams mit bloßer Hand oder mit Holzschlägern gegen die Wand geschlagen.
In Vitoria Gasteiz, der Haupstadt der Basken, lernen wir Lorenzo Rojo kennen. Seine minimalistische Wohnungseinrichtung deutet auf seine Vergangenheit hin. Lorenzo lebte über 20 Jahre aus Fahrradtaschen, radelte durch die ganze Welt und ist nun, mit ende 60, sesshaft geworden. Wie wird sein Leben weiter gehen? Während wir bei ihm zu Gast sind erzählt er uns von seiner Sehnsucht nach dem nomadischen Leben auf dem Rad, von seinen Zukunftszweifeln und einem Gefühl dass er früher nie hatte: Das sein Leben endlich ist.
Wenige Tage später besuchen wir die Familie von Andoni und Alice, die, ebenfalls mit Fahrrad und zwei Kindern für einige Jahre unterwegs waren, bevor sie in den kantabrischen Bergen ein herrlich gelegenes, altes Bauernhaus sarnierten.Gespannt lauschen wir ihren Geschichten, ihren Erfahrungen mit dem Reisen als Familie während draussen auf den Wiesen vor dem Haus zwei schottische Hochlandrinder grasten und es, typisch für das Baskenland, in strömen regnete.
Nach einem kurzen Abstecher an die Bucht von Biskaya bei San Sebastian, bogen wir auf der französischen Seite auf den Pyrenäenkamm ab. Die Berge waren herrlich aber auch herrausfordernd. Nicht nur wegen der absurd steilen Neigung der Straßen, auch wegen der mentalen Herrausforderung die mit unserer Strecken einher ging. Mit Tomte an Bord brauchen wir im Idealfall maximale Flexibilität, die in den Bergen nicht geboten war. Steile Hänge, enge Straßen, Wetterbedingungen und all das, hoben unsere Alltag auf ein anderes Level. Wir konnten nicht überall halten und Pause machen, mal eben noch 10km weiter fahren bis gerade Stellflächen für unser Zelt kommen. Wir mussten unser Tagesziel erreichen, auch um rechtzeitig wieder Lebensmittel kaufen zu können. Im Laufe der Zeit lernten wir aber dazu, fanden Lösungen, wenn es scheinbar nicht mehr weiter ging und merkten, dass wir auch Tomte mittlerweile mehr zutrauen konnten.
Um die Länge unserer Tagesetappen etwas zu steigern, entwickelten wir ausserdem unsere eigene Technik um die Pässe zu erklimmen. Auf den verkehrsarmen Straßen wurde Tomte einfach mit seinem Prinzessinen-Bobbycar an den Anhänger gehängt. Der grinste jedesmal über beide Ohren, konnte gar nicht genug bekommen und winkte eifrig allen Leuten zu die uns ungläubigen Blickes hinterherguckten.
Die Anspannung viel ab, wir wurden zu richtigen Bergziegen und wir konnten gar nicht mehr genug bekommen vom Pässe fahren. Es lief einfach zu gut. Das ist das besondere in den Bergen. Diese Landschaft, die Herrausforderung, die Erfolgserlebnisse, und die eiskalten Flüsse. Als wir eines Abends nebeneinander auf der Isomatte saßen, jeder in sein Schüsselchen voll Linseneintopf vertieft, war ich unglaublich stolz auf meine kleine Familie.
Wir liesen es uns bei hitzigen Temperaturen gut gehen in Frankreich, tauchten ab in kalten Bächen und Flüssen, wann immer sich eine Möglichkeit bot. Für unsere Verhältnisse suchten wir häufig einfach einen Campingplatz auf anstatt wild zu zelten und gönnten uns viele Croissants zum Kaffee am Morgen. Frankreich ist wahrlich ein Urlaubsland!
Als letztes Ziel auf dieser Reise besuchten wir Godelein. Wir haben ihn vor vielen Jahren zufällig in Georgien kennengelernt. Die Begegnung führte zu 5 Wochen gemeinsamer Reise durch Armenien und die Türkei. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Umso größer die Wiedersehensfreude. Wenn man für einige Zeit so zusammen reist, lernt man einander gut kennen. Es sind besondere Verbindungen, besondere Freundschaften die über die Jahre die wir reisend leben, entstanden sind. Wir lernten seine Familie und seinen Wald kennen und bekamen einen Eindruck von seinem Leben heute.
Wir radelten noch bis Toulouse, dann setzten wir uns für drei Tage in die Regionalenbahnen Frankreichs um etwas zügiger nach Hause zu kommen. Die Sehnsucht nach den Lieben in der Heimat war einfach riesengroß.
Ende des Jahres soll die Reise dann in Südamerika fortgesetzt werden.